Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
Vom Netzwerk:
Mühe – dass so etwas einen Wert haben kann). Die Bediensteten beobachten sie, wie Forscher eine neue Spezies beobachten, eine Mischform, pflanzenfressend, vermutlich harmlos, möglicherweise aber auch nicht. Mit verschlossener Miene geben sie ihr zu essen, waschen für sie, kontrollieren ihre Kleidung, wenn sie denken, dass sie es nicht merkt, flüstern miteinander, schauen ihr beim Essen zu. Sie hat ihnen noch nicht gesagt, dass sie früher in Ghana gelebt hat, dass sie die Sprache spricht und alles versteht, was sie leise auf Twi sagen: über ihre Blumen, ihre geblümten Nachthemden, ihre schrecklichen Essgewohnheiten – dass sie zum Beispiel Unkraut herausreißt und es isst. (Zitronengras.) Twi hat sie von ihrem Dad gelernt, der die wichtigsten Sprachen Nigerias beherrschte, außerdem noch Französisch, Suaheli, Arabisch und eben auch ein paar Brocken Twi. »Man muss immer die Regionalsprache lernen. Den Einheimischen darf man sich nie ausliefern«, sagte er immer wieder, eine fast zu Ende gerauchte Zigarre zwischen den Lippen, der Welt ein Lachen schenkend –
    oben links.
    Da ist es.
    Die Bewegung, nach der sie getastet hat.
    Oben links, in der Nähe von Sadie, aber dichter beim Herzen, kein Ziehen, keine Enge, auch nicht das Klopfen der Angst, sondern ein Echo, eine Leere, ein Leerwerden. Ein bekanntes Gefühl. Nicht das, wonach sie getastet hat und wovor sie sich gefürchtet hat (etwas, das ankündigt, dass dem Kind etwas passiert ist), sondern ein Gefühl, an das sie sich erinnert, unverkennbar, aus früheren Jahrzehnten, eine Erinnerung, von der sie nicht wusste, dass sie noch in ihr ist.
     
    Sie setzt sich gedankenverloren hin, gibt ihr Vorhaben auf, was immer es war – vielleicht Mr Ghartey ermahnen oder seitlich gegen das Gerät an der Wand schlagen oder das Bett frisch beziehen, etwas trinken, nach dem Albtraum. Und sie denkt: Seltsam, dass sie zum Tod ihres Vaters zurückgeführt wird, an den sie so selten denkt, es ist so, wie man Träume erzählt, unscharf, verwässert, nicht das Ereignis, sondern die Emotion, eine Trauer, die verblasst ist, vertrocknet, zusammengerollt, die ihre Farbe verloren hat. Was
geschehen
ist, sieht sie deutlich vor sich, auch jetzt, sonnenklar, Lagos, Juli 1966 , die kurze Kette der Ereignisse.
    Erstens: keuchend aufwachen, kalt, dreizehn Jahre alt, alle ihre Beatles-Poster mit Reißnägeln an der Wand befestigt, erschrocken in der Dunkelheit sitzen, mit diesem Hohlraum in der Brust, ein Gefühl, das sie nicht kennt (die gleiche seltsame Leere wie jetzt). Zweitens: von ihrem Zimmer den Flur entlanggehen, zum Zimmer ihres Vaters, ohne daran zu denken, dass er ja in den Norden gefahren ist, um nach seinen Schwiegereltern zu sehen, ihren »Großeltern«, den Nwaneris, die sie nie kennengelernt hat und nie kennenlernen wird. Niemand hat es gesagt. Er auch nicht, ihr gütiger, breitschultriger Vater mit den wolligen Haaren, der jeden Abend weinte, weil er seine Braut verloren hat, er kniete vor seinem Bett nieder, unter ihrem Porträt, Somayina Nwaneri, hell, mit goldenen Augen. Ein Geist.
    Siebenundzwanzig.
    Gute Geisterfee.
    War bei der Geburt verblutet.
    Eine Fremde für Fola, nicht mehr als ein Gesicht, mit so unglaublich heller Haut, dass sie auf dem Porträt aussah, als wäre sie ohne Blut geboren, aus Eis geschnitten. Aber so hübsch! Stoff für eine Legende, eine lokale Berühmtheit in Kaduna, der Igbo-Vater, ebenso berühmt für seinen Posten im Norden wie dafür, dass er auf dem Gelände der Mission eine Rose gepflückt und diese Frau geheiratet hat. Maud, eine Schottin, goldbraunes Haar. Und der ganze Rest: Schande, totgeborene Babys, eine Fehlgeburt nach der anderen, Kopfschütteln, Tratsch, da seht ihr’s,
die Schottin kann dem Igbo-Mann kein Kind schenken
, dann die eine weißhäutige Tochter, die magische Mulattin. Kleine Prinzessin von Kaduna. Tochter eines Kolonialbeamten. Bekam ein Stipendium, um nach dem Krieg in London eine Ausbildung als Krankenpflegerin zu machen. Wo sie sofort Kayo Savage kennenlernte und ihn auf der Stelle heiratete, Folas Vater, Anwalt, früher Royal Air Force. Dann bei der Geburt gestorben usw. Niemand sagte es. Niemand erwähnte, dass die Großeltern nie kamen, um sie zu besuchen, Rt. Hon. John und Ann Nwaneri, dass sie nie anriefen, nie ein Geschenk schickten, aber Fola konnte sich denken, warum: Sie gaben ihr die Schuld daran, dass ihre einzige Tochter so früh gestorben war, so wie sie selbst die beiden später

Weitere Kostenlose Bücher