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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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sagten Sie? Ich kannte mal einen Sai, einen Ghanaer. Ein Künstler am Skalpell. Kennen Sie ihn vielleicht?« »Ja, er ist mein Vater.« »Ihr Vater! Wie geht es ihm? Meine Güte, es ist schon so lange her …« »Ja, sechzehn Jahre.«
    Er ist tot.
    Tot in einem Garten, Herzstillstand, typische Koronarthrombose, null Problem, schnell handeln, Kweku Sai, verlorener Sohn, verlorenes Genie, ein Phänomen, ein Versager.
    Ein Arzt, der versagt hat, als es darum ging, seinen eigenen Tod abzuwenden.
    Wie
, das ist die Scham, die Olu im Bauch spürt, nach vorn gekrümmt, während Ling sich im Schlaf wegdreht.
Wie
kann er diese Frau aufwecken und ihr sagen, dass der Vater, von dem er ihr erzählt hat, so einen Tod gestorben ist?
Wie
, wenn er ihr doch seit Jahren verspricht, seit vierzehn Jahren jetzt schon, dass er eines Tages mit ihr zusammen seinen Vater besuchen wird, damit sie ihn endlich kennenlernt, sie wird ihn sehr gern haben, das weiß er, ein Arzt, wie sie beide, mit der gleichen Einstellung wie sie, und überhaupt. Ling, die er liebt, seit sie sich berührt haben, als sie sich bei einem Tag der offenen Tür im Asian American Cultural Center in Yale Punsch eingeschenkt haben. (»Ich muss mich entschuldigen«, sagte der Typ, der die Gäste begrüßte, verlegen zu Olu. »Wir dachten, ›Sai‹ ist asiatisch. Aber Sie können gern bleiben.«) Ling griff, ohne hinzusehen, genau im selben Moment nach der Schöpfkelle wie er. Weiche Haut berührte Haut. Ling, die er seither liebt, errötete und runzelte die Stirn und, ohne die Berührung zu unterbrechen: »Du bist nicht asiatisch. Warte. Warum bist du hier? Spielst du Geige? Bist du ein erstklassiger Mathematiker? Oder vielleicht Mitglied einer koreanisch-amerikanischen Sekte?«
    Er lachte, berührte sie immer noch. »Klavier. Und Naturwissenschaften. Katholische Kirche, aber der Priester ist aus Laos.«
    »Was rede ich nur für einen Quatsch? Ich bin ja bescheuert.
Natürlich
bist du asiatisch.«
    »Ich heiße Olu.«
    »Ich heiße Ling.«
    Und so ging es weiter. Sie machten sich gemeinsam Lernkarten, küssten sich in ihren Schreibtischzellen, aßen Ramen-Nudeln, während sie für den Chemiekurs lernten, dann Harvard, vier Jahre, gemeinsam in Boston (er Orthopädie, sie Geburtshilfe), das »goldene Paar«, überall, wo sie auftauchten. Ling-und-Olu, groß, winzig, typische Gegensätze, ihre Fotos wie Zeitschriften-Werbung für Benetton-Klamotten: Ling-und-Olu in Guam, wo sie Häuser für die Obdachlosen bauen. Ling-und-Olu in Kenia, wo sie Brunnen für die Wasserlosen bauen, Ling-und-Olu in Rio, wo sie Nichtsesshafte impfen, Ling-und-Olu im Pepe’s, vergrößert, schwarz-weiß. »Die Liebe seines Lebens«, obwohl er den Ausdruck kitschig findet, »die unabhängige Variable«, schon zutreffender, quer durch Zeit und Raum, immer konstant, seine Vertraute, die Einzige, der er alles sagt.
    Aber das nicht.
    Wie
, als er dasaß und ihren Vater anschaute und aus Verzweiflung und zur Verteidigung seines eigenen Vaters sagte: »Er ist Chirurg, genau wie ich, und der Beste auf seinem Gebiet«, während Ling vom Bad aus zuhörte, an dem Tag, als er um ihre Hand anhielt?
     
    Oktober. Eine kleine Versammlung, schlichtes Glaskasten-Apartment, Dr. Wei auf dem niedrigen Sessel, Ling auf dem Sofa, hielt Olu am Ellbogen fest, Klammergriff, eine Bekanntmachung, die Hand mit dem Ring auf ihrem mechanisch wippenden Knie. Dr. Wei trank mit kleinen Schlucken seinen Tee und musterte Olu ruhig, und Olu erwiderte seinen Blick, so wie er es im Beth Israel gelernt hat (»Sie müssen dem Patienten immer in die Augen sehen«, sagte Dr. Soto. »Gleichgültig, was Sie ihm zu sagen haben. Blicken Sie dem Patienten in die Augen.«) Was Olu zu sagen hatte, war, dass er Ling heiraten wolle, aber der Patient Dr. Wei antwortete nur: »Ah. Verstehe.«
     
    Sie waren sich schon einmal begegnet, bei der Abschlussfeier für die Medizinstudenten, beide hatten sich höflich angelächelt, als würden sie ein Kind anlächeln. Mrs Wei war ebenfalls dabei, gesund, mit Lings älterer Schwester, die sich Lee-Ann nennt, geboren als Lihúa, und deren Mann. Olu brachte Fola mit, um sie endlich mit ihnen bekannt zu machen (die Feier in Yale hatte er verpasst). »Fola Savage. Meine Mutter«, sagte er.
    »Mrs Savage. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Mrs Wei nickte lächelnd.
    »Ganz meinerseits«, sagte Fola. »
Ms
Savage ist korrekt.«
    »Ms
Savage
?«, fragte Dr. Wei. »Habe ich Sie richtig verstanden?«
    »Ja,

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