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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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leider.« Fola lachte. »Aber was kann man machen?«
    Der Ehemann von Lings Schwester – dessen Vornamen Olu sich einfach nicht merken kann, ein typischer englischer Name, Brian oder Tim, Kalifornier, hellbeige Haare, hellbeige Haut, hellbeige Hose – prustete laut los. »Welches Herkunftsland?«, fragte er.
    »Das Empire«, antwortete Fola, immer noch schmunzelnd. »Das britische Empire.«
    Brian/Tim lachte wieder, Ling und ihre Schwester Lee-Ann lachten ebenfalls. Dr. und Mrs Wei verkrampften sich, Olu ebenfalls. Er schaute hinauf zum Himmel. Anfang Juni. »Ganz schön heiß heute.«
     
    Er hatte Lings Eltern im Lauf der Jahre zweimal getroffen, obwohl sie ihre Tochter in Newton großgezogen hatten, nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernt. Dr. Wei wohnte nun in Cambridge, mit Blick auf den Fluss, in einem Wohnhaus, das der Universität gehörte (Ingenieurwissenschaften, MIT ). Er war schlank, wie Ling, die gleiche schmale Knochenstruktur, aber weniger fragil, eher stromlinienförmig. Konzentrat. Kompakt. Sechzig Jahre alt, die gleichen glatten schwarzen Haare, mit Silberfäden durchzogen, ziemlich lang, bis zu den Ohren. Randlose Brille. In regelmäßigen Abständen strich er sich mit der Hand über die Haare, auch wenn es gar nicht nötig war, auf der rechten Seite, am Nacken. Eine unaufgeregte Bewegung, so langsam, dass der beiläufige Beobachter gar nicht merkte, dass es eine nervöse Angewohnheit war. In der Freizeit trug er lange Hosen, ein Button-down-Hemd und einen blauen Pullover mit V-Ausschnitt. Und Hausschuhe, registrierte Olu. Olu selbst trug Socken, weil es kaum Hausschuhe gab, weil es kaum Gäste gab seit dem »Verlust«, erklärte Ling. Ein Foto der Verlorenen hing hinter dem schmalen Witwer, das einzige Bild an der einzigen nicht-gläsernen Wand – die anderen drei Wände machten das Wohnzimmer zu einem Aquarium, und der Fluss verstärkte diesen Effekt.
    In einer Ecke stand eine riesige chinesische Porzellanvase Wache, in der anderen ein Klavier, genauso aufrecht und streng, zu seinen Füßen gelbe Bände, die Olu sofort erkannte, es waren Noten,
Schirmer’s Library of Musical Classics
, gestapelt.
    Jingdezhen-Teeservice.
    Mozart, leise.
Lacrimosa
aus dem Requiem.
    Ling, die seinen Arm umklammerte.
     
    »«, sagte sie schließlich auf Mandarin.
    »Sprich bitte Englisch, meine Liebe. Wir haben einen Gast bei uns.«
    »Bei
uns
«, entgegnete Ling, »das heißt für mich Huntington Avenue.«
    »Nun ja«, sagte ihr Vater. Mehr nicht.
    Olu setzte sich anders hin, wünschte sich, Ling würde ihn loslassen, fühlte sich plötzlich gefangen in ihrem Griff, nicht nur beansprucht. »Ling war dagegen«, bemerkte er höflich. »Aber ich dachte, es ist richtig, dass wir fragen – dass ich frage.«
    »Dass Sie ›um die Hand meiner Tochter anhalten‹«, sagte Dr. Wei in Gedanken versunken. »Welche?«
    »Welche Tochter?« Olu runzelte die Stirn.
    »Welche Hand. Die mit dem Ring sieht aus, als wäre sie schon vergeben …«
    »Ich habe gewusst, dass du das sagst. Ich hab’s gewusst!« Ling kochte innerlich. »Es ist nicht deine Entscheidung! Ich habe schon ja gesagt. Das habe ich dir erzählt.« Sie drehte sich zu Olu. Ließ ihn los.
    Olu, nun nicht mehr in ihrem Klammergriff, spürte, wie sich sein Magen umdrehte. Dr. Wei strich sich über die Haare und sagte: »Nun ja, ich verstehe.« Ling erhob sich abrupt und ging weinend aus dem Zimmer. Ihre schmalen Schultern bebten. Irgendwo knallte eine Tür.
    Dann lachte Dr. Wei – ziemlich schockierend, warm, ein kräftiger, tiefer Ton füllte die Leerstelle, die Ling hinterlassen hatte. Er nahm die Brille ab und putzte sie, weil ihm die Tränen kamen. Noch mehr polterndes Gelächter, dann begann er lächelnd zu sprechen. »Ich lache über mich selbst. Ich hab’s ja gewusst, dass das kommt. Lings Mutter hat immer gesagt, ihr zwei seid nur Freunde. ›Sie sind nur gute Freunde.‹ Fünfzehn Jahre lang Freunde? Nein, ich habe das nie geglaubt.« Noch ein rumpelndes Lachen. »Man weiß so oft die Wahrheit, ohne sie zu sehen.« Er setzte die Brille wieder auf, musterte Olu ausführlich. Strich sich wieder über die Haare. »Olu – stimmt’s?«
    »Ja, stimmt.«
    »Ich habe mal einen Olu gekannt. Oluwalekun Abayomi.« Er sprach den Namen fehlerfrei aus. »Nigerianer. Wie Sie wahrscheinlich wissen. Der Beste unseres Jahrgangs an der University of Pittsburgh. Mit Abstand. Ich bin kein Rassist. Ganz im Gegenteil.«
    »Sir …«
    »Bitte.« Er nickte, als

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