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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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gleich?«
    »Es sind vierzehn Jahre, verdammt nochmal – warum nicht? Waren wir schon mal in Nevada? Moment – wo ist noch mal der Grand Canyon?«
    »In Arizona.«
    »Fahr zum Logan Airport«, sagte sie, und er tat es.
     
    Dann die Little White Wedding Chapel, sechs Stunden später.
    Ling-und-Olu in Vegas.
    Ausgerechnet.
     
    Jetzt wacht sie auf von ihrem Herumwälzen. »Hey«, murmelt sie schläfrig und reibt sich die Augen. Sie sieht ihn in seinem OP -Kittel auf dem Stuhl sitzen und nimmt an, dass er sich die Schuhe auszieht. Oder anzieht. »Kommst du oder gehst du?«
    Ertappt. »Ich gehe«, lügt er. Verschämt legt er das T-Shirt weg und steht auf. Er geht zum Bett und küsst sie sanft. Sagt: »Schlaf weiter«, und das tut sie.
     
    Er geht ins Bad und schließt die Tür. Setzt sich auf den Klositz, angespannt, weil er gelogen hat. Der Spiegel zeigt ihm ein schutzloses, aschfahles Gesicht, die Augen gerötet, und aus der kleinen Tasche in seinem Kittel schaut ein Telefon heraus. Er nimmt es und wählt eine Nummer.

Drei
    Und was trieb sie diesmal aus dem Bett zum Schrank, zum Mantel und zu dem kurzen Kleid, hinaus auf die Straße, ins Grau des bald kommenden Schnees, zum Taxi, zum Village und (zurück) in sein Bett?
    Was war es diesmal? Schlaflosigkeit? Ein Albtraum?
    Es war schon Mitternacht, als sie von uptown aufbrach. Nur der Mann und sein Mops, die eilig nach Hause strebten, sahen sie und drehten sich nach ihr um, als sie in ihrem kurzen Pelzmantel vorbeilief. (Sie tut das, was sie immer tut, seit a
lles anders
ist, sie sieht diese kleinen Szenen, es ist ein Film, den sie im Kopf dreht: Hauptperson kommt ins Bild, nervös, blickt nach rechts, blickt nach links, sieht das Taxi, springt hinein und rast davon in die Nacht.) Nur dass das Taxi nicht raste. Es fuhr langsam durch den Samstagsverkehr, die Straßen New York verstopft mit Leuten, die nach Liebe suchten, fuhr zu dem alten, vornehmen Haus ihres alten, vornehmen Liebhabers. Dort stieg sie aus, blieb stehen und schaute in den Schnee. Abwärts tanzten die Flocken durch Dunkelheit und Stille, durch das goldgelbe Licht der Straßenlaternen, hinunter auf den Boden, wo manche Flocken liegenblieben und manche schmolzen, eigentlich komisch, dass etwas so Weiches bleiben konnte, dauern konnte. Und, während sie da stand, schaute sie die kurze Straße hinunter zu den Fenstern – manche schwarz und manche golden, nach Mitternacht, downtown –, so wie sie das als Kind immer getan hatte, die Hände ans kalte Glas hinten gedrückt, wenn sie mit dem Volvo nach Hause fuhren. Diese Häuser hatten so grandios, so imposant gewirkt, sie lagen ein Stück von der Straße zurück, auf einem kleinen Anstieg oder mit einem großen Tor, Brookline-Backstein mit schwarzen Fensterläden oder im Tudor-Stil mit Türmchen, mindestens zehn Schlafzimmer, während sie nur fünf hatten. Aber es lag nicht an der Größe, dass sie stumm wurde vor Staunen. Was sie verzauberte, waren die vielen warmen Fenster. Das Leuchten. Die vielen warmen, wohlhabenden Menschen da drinnen, deren Esszimmer mit Kronleuchtern golden erhellt waren und deren Schlafzimmer sich bernsteinfarben vom Dunkel absetzten, vom Draußen. Denn obwohl sie ja auch dort wohnten –
ihre
Familie, in Brookline, keine fünf oder zehn Minuten entfernt von dem Viertel, durch das sie jetzt fuhr –, hatte sie selbst kein einziges Mal das empfunden, was sie in diesen Fenstern sah: dieses warm leuchtende Gefühl von Zuhause.
    Selbst am Anfang, bevor alles aus den Fugen geriet (als Kehinde vom Auto ins Haus kam, ohne einen Ton von sich zu geben, die Treppe hinauf, den Gang entlang, in ihr Zimmer, von dem aus sie alles beobachtet hatte, wo sie am Fenster auf ihn wartete, und er setzte sich hin und weinte), selbst da herrschte zu Hause eine Atmosphäre permanenter Anstrengung, es war ein energischer Aufwärtstrend, es wurde etwas gebaut:
Eine erfolgreiche Familie. A
n diesem Projekt waren sie alle sechs beteiligt, sie strebten ein gemeinsames Ziel an, das sie allerdings noch nicht erreicht hatten. Sie waren noch nicht fertig, waren noch bei der Probe, eine Produktion im Entstehen, jeder spielte seine Rolle mit demonstrativer Souveränität, und der Stress war für alle immer gegenwärtig, als eine Art leiser Dauerton im Hintergrund. Ein Summen.
    Da war »er«, der sich Tag für Tag größte Mühe gab, den Ernährer darzustellen. Und Folas Starrolle als die Vorstadt-Ehefrau, und Olu als der perfekt-penible Lieblingssohn, der

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