Diese eine Woche im November (German Edition)
das Hotel, Arm in Arm. Der eine hat was von einer Bulldogge. Der ältere ist kein Italiener, groß gewachsen, mit hellem Haar. Der Ähnlichkeit nach könnte er ihr Vater sein. Kaum haben die vier das Boot bestiegen, legt es ab und gleitet den Kanal hinunter.
Pippa würde ihrem Freund die Neuigkeit gern sofort unter die Nase reiben. Doch sie wartet lieber bis morgen, wenn sie sich zur Arbeit treffen. Pippa hüllt sich in den Schal und schlägt den Weg zur Wohnung ihres Onkels ein.
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Z wei Geiseln? « Der Trucido sitzt in einem Sessel vor dem offenen Feuer, Weintrauben auf dem Schoß.
» Wir wollten den Deutschen mitnehmen. Da stand plötzlich seine Tochter in der Tür « , antwortet Sandro.
» Hast du dich vorher erkundigt, ob der Mann allein im Hotel abgestiegen ist? «
» Nein, das … habe ich nicht. «
» Und dann? «
» Sie sah ihren Vater gefesselt auf dem Stuhl. Die Situation war eindeutig. Wir mussten sie mitnehmen. «
» Herr im Himmel. « Der Trucido stützt den Kopf in die Hand. » Eine Deutsche, minderjährig. Die Tochter eines Polizisten. « Er wirft den Traubenstiel ins Feuer. » Und die Leiche des Commissario? «
» Die findet keiner, nie mehr. « Sandro lächelt stolz.
Der Trucido steht auf. » Wo hast du die Deutschen untergebracht? «
» Im Erdgeschoss. «
» Was denn, im Wasser? «
» Sie sind auf dem Trockenen. «
» Wir kümmern uns morgen um die beiden. «
Der Schwarzhaarige gehorcht, behutsam schließt er die Tür hinter sich. Allein bleibt der Trucido vor dem Feuer zurück.
Die Zeit ist reif, sagte Eleonora. Das ist drei Jahre her. Seitdem ist er ihrem Rat gefolgt. War das richtig? War es vernünftig? Auch wenn er die anderen das glauben macht, ist sich der Trucido keineswegs sicher.
Verdammte Kälte, denkt er, verdammte Feuchtigkeit in dieser ewig klammen Stadt. Er steht auf und tritt ans Feuer. Wie hielten die Leute das früher aus? Keine Heizung, nur offene Feuerstellen, die kaum Wärme abgeben. Er denkt an sein Apartment in Paris. Es lag in einem hübschen Viertel, war winzig, aber mehr konnte er sich als verarmter Adeliger nicht leisten. Ein Corniani in der vierten Generation, seit seine Familie vertrieben worden war. Das Emigrantendasein war für ihn zum Normalzustand geworden. Eines Tages tauchte Eleonora auf.
Lächelnd beugt er sich über die Flammen. » Sie ist eine Hexe. « Keine, die Tränke braut und Zaubersprüche murmelt. Eleonoras Hexerei besteht darin, andere ihrem Willen zu unterwerfen und sie genau das tun zu lassen, was Eleonora will. Die Frau besitzt hypnotische Fähigkeiten, denkt der Trucido. Sonst säße er wohl kaum im verfallenen Palazzo seiner Ahnen und hätte Dinge in Gang gesetzt, deren Auswirkungen fatal sind.
Er überblickt den alten Prunksaal. Auf dem Tisch sind Köstlichkeiten angerichtet, falls Eleonora noch kommen sollte. Feigen und Trauben, Fasanenfleisch und Wachteln, piemontesischer Ziegenkäse in Honig. Zwei seidenbespannte Chaiselongues laden dazu ein, im Liegen zu essen. Kerzen brennen, der Duft von aromatischen Hölzern zieht durch den Raum und verdeckt den Fäulnisgeruch des Wassers.
Der Trucido will die Schmach seiner Familie ausmerzen, will sie glorreich wiedererstehen lassen. So lange träumt er schon davon und hätte doch nie gedacht, dass er der Verwirklichung des Traums so nahe kommen würde. Er seufzt: Bis dahin sind noch gewaltige Widerstände zu überwinden. Die Ermordung eines Polizisten ist dabei die leichteste Übung. Es wird weit Schlimmeres geschehen. Es wird Blut fließen.
Wenn Eleonora nicht bei ihm ist, hat der Trucido Angst. Ist seine Lage nicht grotesk? Er bewohnt einen versinkenden Palazzo, gibt Befehle, die andere das Leben kosten – oder zumindest eine Hand. In Momenten des Zweifels hilft es ihm, das Gemälde zu betrachten. Trotz seines Alters hat das Bild an Leuchtkraft nichts verloren. Der Große Doge gab es in Auftrag, vor mehr als 500 Jahren. Es stellt ihn selbst dar, gekleidet im Hermelin der Dogen. Er hat sein Antlitz abgewandt, als Zeichen dafür, dass er der Großmeister der Trucidi ist. Niemand in Venedig durfte wissen, dass der Doge zugleich Anführer einer Bruderschaft ist, die vor Verbrechen nicht zurückschreckt, wenn es um die Durchsetzung ihrer Ziele geht. Der Trucido betrachtet das Wappen zu Füßen des Dogen. Die Juwelen wirken so echt, dass man danach greifen möchte.
» Führst du eine Unterhaltung mit deinem Ururgroßvater? «
Er fährt herum. » Eleonora! «
Durch die geheime
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