Diese eine Woche im November (German Edition)
sich auf.
» Aber ich. « Mit hartem Griff packt ihn der Mann am Kragen. » Schön unten bleiben, bis die Carabinieri da sind. «
Tonio windet sich. » Was hab ich denn getan? « Jetzt ist er sicher, der Engländer ist nicht zum ersten Mal sein Kunde.
Pippa kommt hinter dem Obststand hervor. Sie sieht das gewohnte Bild, wenn ihr Partner mit einem Touristen in den Clinch geht. Wie soll Tonio sie nur warnen?
» Da haben wir ja die Kleine « , sagt der Engländer. » Komm hervor, ich hab dich schon gesehen! «
Der Mann trägt eine Trillerpfeife um den Hals. Er nimmt sie in den Mund. Der Ton ist hoch und schrill.
Alle drehen sich um. Auch der Carabiniere am andern Ende der Straße.
» Hau ab! « , ruft Tonio Pippa zu. Er entkommt dem Griff des Alten nicht.
Der Obsthändler taucht neben Pippa auf.
» Festhalten! « , schreit der Engländer. » Sie will mich bestehlen! «
Der Obsthändler ist ein gemütlicher Mensch. Rührend langsam geht er auf Pippa zu. Sie hat verstanden. Allein kommt Tonio aus dem Schlamassel nicht heraus. Statt die Beine in die Hand zu nehmen, rennt sie das letzte Stück zu ihm.
» Verschwinde! Nein! « Er rüttelt am Griff des Alten.
Pippa pflanzt sich vor dem Touristen auf. Der Mann ist groß, kräftig und entschlossen. Ein Mädchen, gerade mal eins fünfundfünfzig hoch, wird sich unmöglich mit so einem anlegen. Pippas Faust schießt vor, sie boxt dem Alten in die Magengrube. Es ist die Überraschung, weniger die Wucht des Schlages, die ihm die Luft raubt. Er krümmt sich. Seine Pfeife gibt einen erbärmlichen Ton von sich. Pippa holt noch einmal aus.
Das ist Tonios Augenblick. Er reißt sich los. An Pippas Stelle versetzt er dem Engländer einen Stoß. Ein Blick zu ihr, Dankbarkeit, Hoffnung, Kampfesmut. Mit einer Partnerin wie Pippa meisterst du alles.
Das quirlige Wesen mit dem langen Haar flüchtet hinter den Obststand, von dort zur Einfahrt und verschwindet.
» Aufhalten! Ein Dieb! « , kräht der Engländer. Die Trillerpfeife fällt zu Boden.
Tonio entscheidet sich für die Gegenrichtung.
Seit einer Stunde steht der Carabiniere vor dem Magistratsgebäude auf Posten. Ein angenehmer Job, für den Kopf gibt es allerdings wenig zu tun. Meistens schaltet der Polizist den Kopf ab, wenn er in Uniform ist. Der Jüngste ist er auch nicht mehr. Da der Junge nicht stehen bleibt, breitet der Beamte die Arme aus. Damit, meint er, sei die Straße abgesperrt.
Tonio meint das nicht. Ein Sprung nach rechts, schwerfällig tappt auch der Polizist auf diese Seite, Sprung links, das Wasser kommt gefährlich nah. Tonios Schuhspitzen ragen in den Kanal hinaus, er rudert mit den Armen. Unter ihm treibt ein ausgequetschter Tetrapak vorbei. Er fängt sich, bevor der Polizist ihn fasst. Ein Blick in die überraschten Augen eines Mannes, der sich auf seinen Cappuccino freut. Der Carabiniere hat nicht damit gerechnet, dass vor der Frühstückspause ein solcher Diensteinsatz von ihm gefordert wird.
» Gib auf, Junge « , sagt er mit sonorer Stimme.
» Festhalten! « Der Engländer keucht heran.
» Was hat er? Was ist? Hat er was? « , rufen die Passanten.
Der Torbogen hinter dem Polizisten kommt Tonio vertraut vor, er will sein Glück versuchen. Ein Innenhof. Ein Gitter verschließt den Durchgang zum Hinterhaus. Hektisch sieht sich der Junge um. Hinter ihm die Stiefelabsätze des Polizisten. Vor ihm das Gitter. Zwischen Eisenstäben und Gewölbedecke ist ein wenig Raum, gerade breit genug, dass ein geschmeidiger Dieb Durchschlupf findet. Tonio zieht sich hoch, schiebt den Oberkörper in die Öffnung und lässt sich auf die andere Seite fallen. Durch die Stäbe sieht er, wie der Carabiniere antrabt. Die Amtsperson rüttelt am Gitter und sieht Tonio streng an. Auch der Engländer erreicht den Hof. In seinem Schlepptau ein Dutzend Schaulustiger.
» Aufsperren! « , schreit der Rotgesichtige.
» Womit? « , fragt der Polizist.
Tonio kommt hoch.
» Gib auf, Junge « , sagt der Polizist.
» Wieso? « Tonio macht kehrt und rennt durch den Hinterhof. Am Tor dreht er sich noch mal um und zeigt seinem Publikum den Mittelfinger.
Der Carabiniere greift zum Funkgerät.
» Warum benutzen Sie Ihre Waffe nicht? « , kreischt der Engländer.
Das wartet Tonio nicht mehr ab. Er öffnet das Tor und schlägt es hinter sich zu. Eine Gasse, eine Brücke, noch zweimal um die Ecke, dann bleibt er stehen. Hält den fliegenden Atem an und lauscht. Sie sind ihm nicht gefolgt. Tonio schickt ein Dankgebet zum Himmel. Er
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