Diese eine Woche im November (German Edition)
Marmortür ist sie eingetreten. Eleonora ist jung und doch durchziehen weiße Strähnen ihr kastanienbraunes Haar. Die Lippen sind dunkel geschminkt. Ihre Katzenaugen mustern den letzten Nachkommen der Familie vor dem Gemälde seines Vorfahren.
» Wovor fürchtest du dich? « Sie trägt ein mitternachtsblaues Kleid und einen grauen Mantel überm Arm.
» Fürchten? « Mit ausgebreiteten Armen geht er auf sie zu.
» Die Angst kriecht in dir hoch wie das Wasser in den alten Mauern. Du fragst dich, ob du die Aufgabe bewältigen wirst. Du zweifelst an dir und denen, die du anführst. «
» Ist das ein Wunder? Ständig bin ich von Dummköpfen umgeben. Leute, deren einzige Begabung es ist, draufzuhauen und zu töten. «
» Sandro und seine Leute sind dir bedingungslos ergeben. Du brauchst ihn. Du brauchst seinen Gehorsam und seine absolute Grausamkeit. «
» Ich weiß. Das weiß ich ja. Aber es macht die Tage für mich nicht gerade einfach. « Er würde Eleonora liebend gern küssen, doch das Zeichen muss von ihr ausgehen.
» Wir sind nicht hier, um unsere Tage zu genießen! « Sie funkelt, dabei ist ihre Stimme nur ein Flüstern. » Du könntest zu wahrer Größe emporsteigen, Marcantonio, wärst du nicht gefangen im Banne deiner übermächtigen Familie. «
» Hör auf. « Er verschränkt die Arme. » Warum erzählst du mir immer und immer wieder von meiner Familie? «
» Weil dieses Geschlecht jahrhundertelang die Geschicke des venezianischen Weltreichs prägte. Sie stellten Dogen, Richter, Diplomaten, Wissenschaftler für diese Stadt. Deine Vorfahren sind mitverantwortlich für die Machtentfaltung Venedigs. Das venezianische Reich erstreckte sich bis zu den Alpen, bis Mailand im Westen und im Osten bis nach Zypern. Es umfasste Istrien, Dalmatien, Albanien, Gebiete Griechenlands, Rhodos und Kreta. «
Mit gesenktem Kopf hört der Trucido zu. Er ahnt, warum Eleonora die Hymne auf Venedig anstimmt. Weil sie Marcantonio für schwach hält. Weil sie hofft, er werde die Größe des Zieles zu seiner eigenen Größe machen.
Die Frau im blauen Kleid durchschreitet den Saal, ihre Stimme wird von den Marmorwänden zurückgeworfen. » Das ist noch nichts im Vergleich zum venezianischen Handelsreich! Es umspannte Europa, Asien, Nordafrika und Arabien. Venezianische Geschäftshäuser standen an der Krim, in Armenien und Ägypten, genauso wie in Paris und Madrid. Keine Handelsstraße, die Venedig nicht beherrschte, kein Meer, kein Strom, auf dem seine Waren nicht befördert wurden. Erzeugnisse des Ostens und des Westens gingen durch Venedigs Hände: Zucker und Zimt, Seide, Pelze und Brokat, Perlen und Edelsteine. Venedig besaß das Monopol auf sämtliche Gewürze der Erde. Es war die reichste Stadt Europas, hier lebten Männer, die genügend Macht besaßen, andere Staaten zu Partnern zu erheben oder sie zu vernichten, durch einen Wink ihres Fingers. Männer wie deine Vorfahren! «
Eleonora nimmt Marcantonio am Arm und führt ihn unter das Gemälde. » Das Reich des Großen Dogen war ein Weltreich « , sagt sie eindringlich. » Heute ist Venedig zur Ferienkulisse verkommen, zum Disneyland für fette Hausfrauen und bornierte Spießer. Das ist unerträglich. Es ist unerträglich für dich! Du darfst es nicht zulassen. Venedig muss in neuem Glanz erstehen. Begreifst du das, mein Geliebter? «
Ohne seine Antwort abzuwarten, beugt sie sich vor. Es ist die Aufforderung zum Vergnügen. Als seine Lippen sich den ihren nähern, schiebt sie die Hand dazwischen.
» Erst den Knöchel « , befiehlt sie.
Marcantonio entblößt ihr Handgelenk und bedeckt die zarten Glieder mit Küssen.
» Jetzt hier. « Ihr Unterarm schwebt über ihm, er küsst die Innenseite. Eleonora greift in sein Haar. » Und jetzt – « Sie tritt zurück. » Möchte ich Wein. «
Er erfüllt ihren Wunsch sofort. » Du musst die Jungfrauentränen probieren. « Er eilt zum Tisch und gießt ein. » Sie stammen von den steilen Hängen der Abruzzen. «
Das Glas klirrt an den vielen Ringen, die Eleonora an den Fingern trägt. » Erzähl mir alles « , sagt sie nüchtern und setzt sich auf die Chaiselongue.
» Sandro hat den Commissario umgebracht. «
» Gut. « Sie trinkt. » Unser Mann in der Questura wird den Rest erledigen. «
» Sandro hat auch den deutschen Spürhund unschädlich gemacht. Leider hat der Hornochse außerdem dessen Tochter in unsere Gewalt gebracht. «
» Wo sind die beiden? «
» Hier im Haus. «
Nachdenklich nimmt sie eine Feige. » Das ist
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