Diese eine Woche im November (German Edition)

länger mit ihm zusammen sein. Deshalb schenkt er dem Mann im Boot keine Beachtung. Doch irgendwo in seinem Kopf wird das Bild gespeichert, wie das Boot auf das Hotel zugleitet. Tonio und Julia erreichen die Terrasse.
    Am Haltesteg des Don Giovanni legt Sandro an. Er springt hinaus, betritt das Hotel, wartet, bis der Nachtportier ein Telefonat entgegennimmt, und läuft die Treppe hoch. Sandro klopft bei Zimmer Nummer 17. Es wird aufgesperrt. Der Bullterrier guckt auf den Korridor.
    » Alles klar? « Sandro geht hinein.
    Auf dem Stuhl sitzt der gefesselte Deutsche.
    » Bevor wir ihn runterbringen, kümmere ich mich um den Computer. « Sandro setzt sich vor den Laptop. Die Mail des toten Commissario ist noch geöffnet. » Noch besser, wir nehmen den Laptop mit. « Sandro klappt ihn zu.
    Im Café bekommt Julia gerade eine heiße Schokolade. Sie prüft ihr Handy. Kein Rückruf. » Ich muss doch nachsehen, was da los ist. «
    » Trink erst mal. «
    Julia kennt ihren Vater. Wenn er halb elf sagt, wartet er bereits zehn Minuten vorher auf seine Tochter. Mittlerweile ist es Viertel vor und er meldet sich nicht. Das sieht ihm nicht ähnlich. So langweilig Herbert sein mag, die gute Seite an ihm ist seine Verlässlichkeit. Verlässlichkeit verlangt er auch von seinen Mitmenschen.
    » Tut mir leid, ich muss wirklich gehen. « Mit einem Mal ist Julia distanziert. Sie hat den Kakao nicht angerührt.
    » Telefonieren wir morgen? «
    » Mal sehen. « Sie legt Münzen auf den Tisch.
    » Ich habe deine Nummer nicht. «
    » Wie ist deine? « Es ist vorbei mit der Vertrautheit. Julias Worte klingen eher, als wolle sie einen aufdringlichen Kerl loswerden.
    » Ich begleite dich bis zum Hotel « , sagt Tonio.
    Beim Ausgang bleibt sie stehen. » Hör mal. Es war nett mit dir. Jetzt muss ich heim, okay? «
    Kein Handschlag, kein Küsschen auf die Wange. Sie dreht sich um und läuft zum Hotel. Unentschlossen geht Tonio ihr ein paar Schritte nach. Das Balkonfenster ist erleuchtet. Neben dem Hotel liegt ein Boot vor Anker. Ein Mann lümmelt am Steuer. Tonio seufzt. Weshalb ist er enttäuscht? Der Abend war großartig und schöner, als er erwarten durfte. Die Hände in den Hosentaschen, verlässt Tonio die Piazza.
    Pippa ist ihrer heimlichen Liebe bis auf den Platz gefolgt. Sie findet ihre Neugier traurig und entwürdigend. Aber Sehnsucht kann man nicht abstellen, genauso wenig wie Schmerz, der von innen kommt. Der Abend wurde von Minute zu Minute schlimmer für Pippa. Wie eine Süchtige musste sie immer weiterspionieren. War nicht längst klar, was passierte? Zwei Fremde entdeckten ihre Anziehung füreinander. Er zeigt ihr seine Stadt, sie sitzen und reden, unauffällig berührt er ihren Arm. Sie lässt es sich gefallen. Er bringt sie heim. Ein zweites Mal überredet er sie, ihn zu begleiten. Doch nur kurz. Ein knappes Lebewohl, kein Kuss. Das hat Pippa wohl registriert.
    Was nützt es ihr? Tonio ist verliebt, in ein Mädchen, dem Pippa nicht das Wasser reichen kann. Seit Jahren ist sie für ihn da, sie hört sich seine Sorgen an, hilft ihm in seiner Einsamkeit. Zum Dank belügt er sie und baggert die erstbeste Touristin an. Und wie die Sache steht, ist die Blonde nicht abgeneigt.
    Pippa tritt aus dem Eingang, in dem sie sich verborgen hält. Heimgehen mag sie nicht, was soll sie bei ihrem schlafenden Onkel? Seit die Schmerzen in seinen Beinen schlimmer werden, nimmt er starke Schlaftabletten. Was könnte ein Mädchen wie sie um diese Zeit noch unternehmen? Ihr fällt nicht das Geringste ein. Statt heimzugehen oder dem erstbesten Touristen die Brieftasche zu klauen, steht Pippa einfach da. Steht auf dem Platz, wo seine Flamme wohnt. So unerhört es ihr vorkommt, fühlt sie sich Tonio damit näher. Und das ist wahrscheinlich das Traurigste an der Angelegenheit.
    Ein Blick zum Don Giovanni. Was geschieht dort? Jemand tritt aus dem Hotel – die Blonde. Die Kleine geht noch einmal aus? Pippas Laune bessert sich sofort. Dieses Mädchen will sich anscheinend rund um die Uhr vergnügen. Mit einem Unbekannten tritt sie vor die Tür. Der Mann sieht nicht übel aus, schwarze Klamotten, das Haar so straff. Er ist ein gutes Stück älter als sie, legt den Arm um ihre Schulter. Wenn das Tonio sehen könnte! Die Blonde folgt ihrem neuen Begleiter zum Hotelsteg, wo sein Boot vertäut liegt. Eine nächtliche Bootstour?, fragt sich Pippa. Ziemlich ungewöhnlich bei dem Wetter und um diese Uhrzeit.
    Die beiden kriegen Begleitung. Zwei weitere Männer verlassen