Diese eine Woche im November (German Edition)
was gesehen! « Doppio wartet, bis Julia an seiner Seite ist. » Was hatte dein Vater an – seine Kleidung? «
» Braune Jacke, blaues Hemd. « Sie drängt sich neben ihn.
» Ich dachte … da wäre was. « Unter ihnen strömt das Wasser durch das Haus.
» Wo? « Julia beugt sich vor.
Er gibt ihr einen kleinen Stoß. Sie taumelt.
» Aufpassen! « Doppio versucht, ihre wild rudernde Hand zu fassen. Der Strahl der Taschenlampe zuckt nach oben.
» Julia! « Tonio will am Ispettore vorbei.
» Halt dich fest! « Doppio packt die Hand des Mädchens, sie sucht panisch nach Halt. Einen Moment lang greift er zu. Im nächsten stößt er sie ins Wasser. » Wo bist du? « Er lässt die Taschenlampe in alle Richtungen tanzen.
» Helfen Sie ihr! « Trotz der Finsternis erkennt Tonio Julias Jacke.
Die Kälte, der Schock. Sie schreit nicht, schnappt nach Luft.
Doppio dreht sich suchend um. » Oh Gott. « Scheinbar in Panik, weiß er nicht, was zu tun ist.
» Wir müssen ihr nach! « Tonio will dem Ispettore die Lampe abnehmen.
» Die Strömung! « Doppio leuchtet ins Wasser.
» Wir kriegen sie. « Tonio entreißt ihm die Lampe. » Wir müssen da rein! «
» Bist du verrückt? Wenn du unter das Deckengewölbe gerätst, ersäufst du! «
» Niemand ersäuft! «
Wenn man ein Mädchen einmal gerettet hat, kann man das genauso gut ein zweites Mal tun. Mit einem gewaltigen Satz springt Tonio ins Wasser. Es ist kalt. Unfassbar kalt. Kälter als vorhin. Er will die Lampe dorthin richten, wo er Julia vermutet. Es zerrt an ihm, schon reißt die Strömung ihn mit sich.
» Helfen Sie uns! « , schreit er.
Ein Balken taucht auf, eine Marmorverzierung. Will Tonio nicht dagegenknallen, muss er tauchen. Was, wenn dort nichts mehr kommt als Wasser, wenn alles abgesoffen ist und er selbst auch gleich? Für solche Erörterungen bleibt keine Zeit. Tonio zieht den Kopf ein und lässt sich nach unten sinken. Er verschwindet im gefluteten Geschoss des Palazzo Corniani.
Doppio richtet sich zufrieden auf. Das ging einfacher als erwartet. » Ein junger Held. « Im Dunklen wartet er, zählt die Sekunden. Eine Minute vergeht und noch eine halbe. Keine Bewegung von dort unten. Niemand taucht auf. Niemand wird hier jemals wieder auftauchen.
» Das sollte reichen. « Doppio nimmt sein Feuerzeug und leuchtet sich in die Halle zurück.
» Hierher! « , ruft er. » Schnell! «
Schon ist er umringt von seinen Männern.
» Das Mädchen ist ins Wasser gefallen. « Er tut, als ob er außer Atem wäre, gibt sich den Anschein von Betroffenheit. » Und der verrückte Junge ist ihr nachgesprungen. « Er zeigt nach drüben. » Da lang! «
Sie laufen ihm nach. Ihre Lampen zucken in die Öffnung. Graugrünes Wasser, Algen, weißer Abfall. Kein Lebenszeichen, nur die unaufhaltsame Strömung.
» Ist ein Taucher unter euch? « , fragt Doppio.
Die Männer sehen sich an.
» Ich bin Taucher. Aber ohne Ausrüstung gehe ich da nicht rein. « Der Mann leuchtet in die Tiefe. » Wenn sie hier reingefallen sind, überleben sie keine Minute. Nicht bei dieser Kälte. «
Betrübt senkt Doppio den Kopf. » Wäre jetzt bloß der Commissario hier. « Er nimmt sein Handy. » Ich verständige die Gruppo di Intervento. Die sollen Taucher schicken. «
» Sie werden nur noch Leichen bergen « , antwortet der Kollege.
Ein lautes Knarren ertönt, gefolgt von einem Knall. Das alte Haus ächzt.
» Abbruch « , befiehlt Doppio. » Nichts wie raus hier. «
» Das arme Mädchen « , sagt der Caporalmaggiore.
» Ja. Schrecklich. Und es ging so schnell. « Doppio hastet zum Ausgang. » Ich lasse den Bereich weiträumig absperren. «
Gemeinsam mit dem Caporalmaggiore erreicht er den Ausgang. Das Polizeiboot liegt längsseits der Brücke. Der Ispettore springt als Letzter an Bord. Er hebt den Blick. Je schneller der alte Kasten einstürzt, desto besser, denkt er. Die Dinge laufen gut für Doppio. Als Preis für den Erfolg musste er sich nur eine winzige Tätowierung machen lassen. Eine dreiköpfige Schlange hinter seinem Ohr.
***
Tonios Kopf schießt hoch, er schnappt nach Luft. Zweimal in einer Nacht in die eiskalte Brühe springen, das ist hart. Für Julia ist nichts zu hart. Er hofft, dass auch sie schlau genug war, sich die Luftblasen unter der Kappendecke zunutze zu machen. Hier gibt es Luft und die Chance, Kraft zu sammeln. Tonio klammert sich an allem fest, was er zu fassen kriegt. Er weiß nicht, wohin es ihn zieht, wünscht sich nur, der Sog möge ihn nach draußen
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