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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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sind.
    Der Müllmann umrundet seinen Wagen. Er hat etwas gesehen, glaubt er zumindest. Mit der Verlässlichkeit seiner Augen steht es auch nicht zum Besten. Es gab Zeiten, da sah er sogar Dinge, die nicht existierten. Damals kaufte er täglich billigen Fusel beim Discounter und füllte ihn in eine Mineralwasserflasche um. So konnte er saufen und glaubte, keiner bemerke den Unterschied. Inzwischen ist reines Wasser in seiner Flasche. Wäre es anders, wäre auch nur ein Quäntchen Alkohol darin, dieser Mann wäre rettungslos verloren. Er will nicht mehr viel vom Leben, nur draufgehen, das will er noch nicht.
    Seine Augen hatten recht. Jemand liegt an einem Ort, wo kein Mensch liegen sollte. Geht man von der Größe aus, ist das ein Kind. Kein Kind, wenn man die Kleidung betrachtet. Etwas an dem Menschenwesen kommt dem Müllmann bekannt vor. Der blaue Schal, den sie über dem Kopf trägt. Er ist zum Teil verbrannt, verkohlt, er hängt in Fetzen. Dieses Blau hat der Müllmann nirgendwo anders gesehen als an ihr. Eigentlich ist es unmöglich, dass sie da liegt, auf dieser Halde, weit weg von Venedig. Der Müllmann steigt hinauf und dreht sie herum. Im ersten Schreck glaubt er, sie hat sich schlimme Verbrennungen zugezogen, doch es sind Ascheteile, die an ihrem Gesicht festkleben. Schweiß und ein wenig Blut vermischen sich damit. Sie röchelt, ihr Kopf hängt schlaff in seinen Armen, sie schlägt die Augen auf.
    Nebel, Schmerz, eine entfernte Welt. Doch in dem verschwommenen Bild erkennt Pippa etwas, was sie seufzen lässt. » Rodolfo « , keucht sie mit dem bisschen Luft, das ihr geblieben ist. » Was … machst du hier …? «
    » Das frag ich dich, Kleine. « Beim Sprechen beben die Spitzen seiner Schnurrbarthaare.
    » Rodolfo – «
    » Ich hol dich da raus. Laufen kannst du wohl nicht? «
    Pippa schüttelt den Kopf. Er nimmt sie auf seine Arme. Er sieht den Zustand ihrer Hände, das aufgerissene Hosenbein. An den Schuhen fehlen die Sohlen, das Schwarze darunter könnten Pippas Fersen sein.
    » Seit wann bist du … bei der Müllabfuhr? « Ihr Kopf wippt im Rhythmus seiner Schritte.
    » Zwei Jahre. Es macht mir Spaß. Man kommt rum, man ist an der frischen Luft. « Wegen des herrschenden Gestanks muss Rodolfo grinsen. Viele Zähne hat er wirklich nicht mehr.
    Rodolfo, wie er grinst, ist Pippas einzige Erinnerung an ihn. Damals tauchte er auf wie ein Gespenst.
    » Na, mein Junge, wie geht’s? « , sagte Rodolfo Greco zu seinem Sohn. Er hatte Tonio in dessen Stammcafé aufgespürt. Das Café mit der großen Uhr über den Toilettentüren, mit dem Spielautomaten und der Bar, wo Tonio und Pippa zahllose Gran latte getrunken hatten. So perfekt Rodolfo darin war, zu verschwinden, so gut wusste er Bescheid, wie er seinen Sohn finden konnte, wenn er etwas von ihm wollte. Der Mann mit dem mächtigen Schnäuzer setzte sich zwischen sie und bestellte Magenbitter.
    » Das alte Leiden. « Er tippte auf seinen vorgewölbten Bauch. » Mein Magengeschwür. « Er kippte den Fernet und bestellte gleich den nächsten.
    Trunksucht war das wahre Leiden von Tonios Vater und der Junge wusste das.
    Angeheitert durch drei Liköre, legte Rodolfo den Arm um Pippas Schulter. » Und du bist also seine Freundin? « Er lachte.
    » Wir sind Kollegen « , lachte sie zurück. Pippa fand Tonios Papa nicht übel. Ein Bär, ein Raubein, dem man besser nicht im Zorn begegnete. Aber er hatte auch etwas Gemütliches und Weiches. In seinem Arm konnte man sich geborgen fühlen.
    » Wie laufen die Geschäfte, Sohn? « Der Vater hatte nie genau nachgefragt, welchen Beruf Tonio eigentlich ausübte. Er ahnte die Wahrheit, es kümmerte ihn nicht.
    » Nicht besonders « , antwortete der Sohn.
    » Da geht’s dir wie mir. Harte Zeiten. Besonders wenn man alt wird. «
    Tonio kannte das Spiel. Der Vater wollte nie viel Bares von ihm, aber er würde sich nicht verdrücken, bevor Tonio ihm ein bisschen Geld gegeben hatte. Mit ein paar Scheinen deckte er seinen Schnapskonsum für den Rest der Woche. Insgeheim war der Junge sogar stolz, dass er seinem Papa helfen konnte. Nur die plumpe Art, wie der Alte ihn anbettelte, fand er würdelos.
    » Ich hatte ein paar Ausgaben « , sagte Rodolfo an dem Morgen, als Pippa dabeisaß.
    » Ausgaben, du? « , fragte Tonio bissig. » Hast du dir neue Schnapsgläser gekauft? «
    Der Alte kicherte. » Was soll man mit einem Burschen machen, der so frech zu seinem Vater ist? « Rodolfo zwinkerte Pippa zu.
    » Sagen Sie ihm einfach, wie

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