Diese eine Woche im November (German Edition)

Rodolfo und rammt das Auto. Wenig Blech, viel Plastik und Design gehen zu Bruch. Rodolfo stößt zurück. Die Männer springen um seinen Brummer wie wütende Hunde. Der mit der Bulldoggenfresse springt seitlich hoch und hält sich am Außenspiegel fest. Rodolfo öffnet die Tür. Der Ruck, der Stoß, die Bulldogge überschlägt sich im Staub.
    » Was haben die bloß gegen uns? « Rodolfo wirft einen Blick zu der zusammengekauerten Pippa auf dem Boden. Bevor sie antworten kann, lässt er es zum zweiten Mal krachen. Sie wird herumgeworfen.
    » Wo seid ihr, Jungs? « Er schaut in die Außenspiegel und legt den Rückwärtsgang ein. » Ihr wollt gegen den Müllmann kämpfen? Könnt ihr haben. « Rodolfo betätigt den roten Knopf und legt den gelben Hebel um. Der rote Knopf, der gelbe Hebel sind seine Lieblingsspielzeuge. Darum macht er den Job, das bringt Spaß, es gibt ein Gefühl von Macht.
    » Schließlich bin ich deshalb hergekommen « , sagt er zu Pippa und beobachtet im Spiegel, wie die Eingeweide des Müllwagens sich nach draußen ergießen. Ein knurrendes Geräusch, die Hydraulik schiebt ein paar Tonnen der Sachen, die keiner mehr braucht, ins Freie. Das knistert und birst, eine prächtige Entladung.
    » So ’n Pech. « Rodolfo hat wieder das Grinsen im Gesicht. » Da stand wohl ein Geländewagen im Weg. « Er legt den gelben Schalter in die andere Richtung. » Wo ist der bloß geblieben? « Im Rückspiegel sieht man nur noch einen Berg von Müll. Rodolfo wechselt die Gänge. » Nichts wie weg hier. «
    Auch wenn Pippa sich wünscht, fortzukommen, es ist zu früh. Erst muss noch etwas erledigt werden. Sie nimmt alle Kraft zusammen und zieht sich am Sitz hoch. » Ton… « , sagt sie. Zu leise. Pippa schreit. » Tonio ist dadrin! «

37

    T onio mag nicht mehr liegen. Gleich dem Panther im Käfig läuft er von Wand zu Wand zur Tür, wirft einen Blick in die Brennkammer, tut ein paar Schritte auf den Steg. Banges Warten, Blick ins Feuer, zurück zu Julia. Tonio macht Liegestütze. Die Ungewissheit peinigt ihn, auch sein Gewissen, dass er Pippa gehen ließ. Jede Gefahr wäre leichter zu ertragen als die Untätigkeit.
    Dauernde Helligkeit ist so schlimm wie unausgesetzte Dunkelheit, sie raubt das Gefühl von Zeit. Die Deckenfluter verbreiten grelles Licht. Tonio hat jeden Winkel des Gefängnisses nach einem Lichtschalter abgesucht, umsonst. Er und Julia haben geredet, ihre Chancen auszurechnen versucht.
    » Und wenn die Trucidi die Politiker des G-8-Gipfels als Geiseln nehmen wollen? «
    » Dann hätten sie sofort die italienische Polizei am Hals und das Militär und die NATO . «
    » Und wenn sie nur einen von denen entführen wollen? «
    » Das würden sie kaum auf einer schwer bewachten Konferenz versuchen. «
    » Und wenn sie die Leute einfach reihenweise umbringen? «
    Ihr Gespräch ist sinnlos. Es fehlt die Basis, es fehlt ein kranker Kopf, der so einen Plan erfinden könnte. Julia und Tonio haben Angst, sie sind nervös, halb nackt, sie haben Hunger. Aber ihr Kopf ist noch in Ordnung.
    » Renn nicht rum. Komm her. «
    Sie öffnet ihre Arme. Der Kuss ist schön, die Zärtlichkeit tut gut. Aber der Spalt zwischen ihrem Glück und dem, was vor ihnen liegt, wird größer. Drei Deckenfluter, Hunger, Unruhe, das ist die Wirklichkeit.
    » Ich bin als Kind mal in einen Schacht gefallen « , sagt sie.
    » In Düsseldorf? « Er richtet sich auf.
    » In England. Die haben verlassene Minen da. Und die stürzen von Zeit zu Zeit ein. «
    » Was für Minen? «
    » Zinn, glaube ich. «
    Das ist die Notabschaltung des Gehirns. Wenn das Gehirn die Realität nicht länger erträgt, wird sie ausgeblendet. Das Gehirn nimmt dafür die Erinnerung zu Hilfe. Julia erzählt die Geschichte, wie sie als Zehnjährige ein Warnschild missachtet hat und auf das Minengelände schlich. Die alten Stollen waren versiegelt, es sah ungefährlich aus. Plötzlich gab ein Hohlraum nach, sie stürzte, rutschte, wurde in die Tiefe gerissen.
    » Verschüttet sein ist schlimm. Du denkst, du kriegst nie wieder Luft. «
    » Aber irgendwie hast du’s geschafft, rauszukommen. «
    » Woher weißt du das? «
    » Sonst wärst du nicht in Venedig aufgetaucht. «
    » Hätte ich es bloß nie getan. «
    Er versteht, wie sie es meint. Tonio springt auf, ist wieder unterwegs zur Tür.
    » Ich weiß noch gar nicht, was ich zu Weihnachten mache « , sagt er.
    Sie sehen sich an und prusten los. Weihnachten? Glitzerbeleuchtung und Tannenbaum und kitschiges