Diese eine Woche im November (German Edition)
Fernsehprogramm? Das ist das Letzte, worauf man in einem Augenblick wie diesem kommen kann.
» Ist doch nur noch ein Monat bis dahin « , lacht Tonio. » Was machst du zu Weihnachten? «
» Unsere Doppelnummer « , antwortet sie. » Meine Eltern wollen nicht zusammen feiern. Also gibt es erst mal Bescherung bei Mama und meinem Stiefvater, dazu Gans und Rotkohl. Danach setze ich mich in die Tram und fahre zu Herbert. Dort gibt es auch Gans, aber die tiefgekühlte, die aus der Mikrowelle. «
» Zweimal Bescherung? Du bist ein Glückspilz. «
» Ich hätte nichts gegen ein paar Geschenke weniger, wenn Papa dafür nicht so ein Trauerkloß wäre. Du weißt schon: Zu Weihnachten ist es am schwersten und so. «
» Warum sucht er sich keine Freundin? «
» Weil er Mama noch liebt. Jetzt, wo sie weg ist, erst recht. Außerdem ist es nicht so einfach, als Bulle jemand Nettes kennenzulernen. « Julia wartet, bis Tonio von der Wand zurückkommt. » Feierst du mit Rinaldo? «
» Der verbringt Heiligabend mit seiner Frau. «
» Wirklich? Seine Bude sieht nicht so aus, als würde da ein weibliches Wesen hausen. «
» Tut sie auch nicht. Sie hat ihn vor vielen Jahren verlassen. Sie hat ihre Pferde mehr geliebt als ihn. «
» Pferde? «
» Er hat mir wenig davon erzählt. Ich weiß nur, seine Frau wollte Pferde züchten. Und er wollte nicht aus Venedig weg. «
» Wo liegt das Problem? «
Tonio breitet die Arme aus. » Pferde – in Venedig? «
» Stimmt, das ist hart. Außer es sind schwimmende Pferde. Wie kann er dann mit ihr Weihnachten verbringen? «
» Auf seinem Bildschirm. «
» Stille Nacht, heilige Nacht – über Skype? « Julia seufzt. » Noch so eine traurige Art, das Fest zu begehen. Und du? «
» Ich laufe Heiligabend durch die Straßen und lausche auf die Weihnachtslieder, die aus den Fenstern schallen. «
» Das hört sich schrecklich einsam an. Wieso feierst du nicht mit Pippa? «
» Die kocht für ihren Onkel. Da will ich nicht hin. «
Sie verstummen. Plötzlich ist Pippa zwischen ihnen. Pippa, deren Schicksal sie nicht kennen, Pippa, um die sie fürchten.
» Und dein Vater? Könntest du nicht mit ihm feiern? «
» Nie im Leben. « Tonio nimmt seinen Gang wieder auf.
» Du hast doch nur noch ihn. «
» Ich will ihn aber nicht haben! « Mit gesenktem Kopf läuft er weiter.
Das Licht tut weh. Julia schließt die Augen.
***
Rodolfo hält sich nicht für besonders mutig. Er ist kein Typ, der plötzlich zum Actionhelden wird. Immerhin hat er die schweren Jungs im Geländewagen unter Tonnen von Müll begraben. Wer je versucht hat, unter einem Berg von Abfall hervorzuklettern, weiß, da helfen weder Waffen noch Flüche. Man muss buddeln. Und das kann eine Weile dauern.
Rodolfo griff zum Telefon und wählte die Notrufnummer. Sie kommen. Wahrscheinlich kommen sie schon bald. Auf sie warten kann er nicht. Er überließ Pippa sein Handy, sie soll ihnen sagen, was sie weiß. Er hat das Mädchen an einem sicheren Ort abgesetzt, neben der Straße, über die die Carabinieri anrollen werden.
Das Eingangstor ist aus Eisen, schwere Riegel legen sich quer. Rodolfo besitzt einen besonderen Schlüssel, er fährt einen Mülllaster. Frontal würde er an dem Tor scheitern. Er rammt es mit dem Hinterteil seines Wagens. Harter Aufprall, er und sein Laster werden durchgeschüttelt. Er steigt aus. Einen ordentlichen Blechsalat hat er angerichtet. Wie ein zurückgeschlagener Vorhang klafft eine Ecke des Tores auf. Der Müllmann quetscht sich durch.
Schalttafeln, Kontrollleuchten, in der Mitte ein Pult mit Monitoren. Da sitzt jemand. Der Mann hat gerade noch Zeitung gelesen, als der Rums ihn aufschreckte. Rodolfo ist nicht überrascht, dass der Mann allein ist. In so einer Anlage arbeiten nur wenige Menschen, das meiste läuft vollautomatisch ab.
» Sind Sie verrückt geworden? « Der Mann trägt einen grauen Monteurmantel. Lose hängen die Zeitungsblätter in seiner Hand. » Was haben Sie mit der Tür gemacht? «
» Ich muss in den Brennraum « , antwortet Rodolfo.
» Das Tor werden Sie bezahlen! «
» Sie haben Gefangene hier drin. Wo sind die? «
» Gefangene? Wollen Sie mich verkohlen? «
» Sie wurden heute Nacht gebracht. «
» Wer sind Sie? Der Sheriff? « Der Mann legt die Zeitung auf das Schaltpult.
» Wem gehört der Betrieb? « Rodolfo sieht sich um. Eine Eisentreppe führt bis unter die Decke hoch. Wenn er Pippas gekeuchte Beschreibung richtig verstanden hat, muss das der Weg zum Steg sein.
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