Diese Nacht gehoert der Liebe
unglücklicher Zufall, dass sie Nick begegnet war. Vermutlich war er nur auf der Durchreise und bei Lucas zu Besuch. Und selbst wenn er ein paar Tage bleiben sollte, war Wolf River wiederum nicht so klein, dass es eine große Wiedersehenschance gab.
Bei dem Gedanken ließ die Spannung in ihren Schultern nach. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was er nach ihrem unmöglichen Benehmen im Supermarkt von ihr halten musste.
Zweifellos hielt er sie für verrückt.
Na schön, sollte er doch. Solange sie ihn nicht wieder sehen würde, war ihr das gleichgültig.
Auf dem Weg zum Schlafzimmer kam Maggie an ihrem Vater vorbei und drückte ihm einen Kuss auf die raue Wange. Er war erst vor sechs Monaten pensioniert worden und wusste jetzt wenig mit seiner Zeit anzufangen. Selbst ihre Mutter, die eigentlich ein wahrer Engel war, verlor allmählich die Geduld mit ihm. Ihr Vater war zuvor schon wenig umgänglich gewesen. Doch seit der Operation war er mehr als unleidlich. „Kann ich dir irgendetwas holen, Dad?”
„Besorg mir einen Schluck Whisky und eine Zigarre”, erwiderte er bärbeißig, ohne von der Zeitung aufzuschauen. „Du bekommst auch Bares dafür.”
„Geld nützt mir nichts, wenn ich tot bin. Mom hat gesagt, keinen Alkohol und keinen Tabak, während du dich erholen musst. Wenn sie hinterher nur einen Hauch davon bei dir riecht, gibt’s ein großes Donnerwetter.”
Seine Antwort bestand aus ein paar unverständlichen Lauten. Dann raschelte er mit der Zeitung und nuschelte etwas von herrschsüchtigen Frauen und undankbaren Kindern vor sich hin.
In dem Moment läutete es an der Haustür. Maggie richtete sich auf.
„Kannst du für mich hingehen, Maggie?” rief ihre Mutter aus der Küche. „Jim Becker bringt die Krücken für deinen Vater. Bis Ende der Woche soll er nämlich laufen.”
Maggie lächelte ihrem Vater zu, der sich noch tiefer in seine Zeitung vergrub. Einen einsachtzig großen und hundert Kilo schweren Mann dazu zu bringen, dass er übte, an Krücken zu ge hen, war keine Kleinigkeit, aber wenn es jemand schaffen würde, dann ihre Mutter.
Abgesehen von dem Zusammentreffen mit Nick, gefiel es Maggie zu Hause. Auch hatte sie die vertraute Umgebung und ihre Eltern vermisst. In den vergangenen vier Jahren hatte sich ihr Leben grundlegend verändert. Bis zu diesem Augenblick war ihr gar nicht bewusst geworden, wie sehr.
Die Zeit mit Drew und ihren Eltern wollte sie genießen. Die Vergangenheit hatte sie hinter sich gelassen. Für sie zählte nur das Hier und Jetzt.
Es läutete erneut, und als Maggie die Tür aufmachte, stand eben diese Vergangenheit in Gestalt von Nick Santos vor ihr und musterte sie aus dunklen Augen, die so unergründlich waren wie ein dichter Wald um Mitternacht.
2. KAPITEL
Nick konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so große grüne Augen gesehen zu haben.
Und einen so nervösen Blick.
Also ist Maggie immer noch scheu, dachte er und fand das reizend. Die me isten Frauen, die er bisher kennen gelernt hatte, schienen so selbstsicher, dass es fast schon erschreckend wirkte. Er mochte es, wenn eine Frau ein wenig zögerte und zurückhaltend blieb.
Lächelnd zog er ihre Kreditkarte aus der Tasche. „Die hast du im Supermarkt verloren. Ich dachte, du hast bestimmt nichts dagegen, und habe uns eine Kreuzfahrt nach Jamaika gebucht.
Wir fahren nächste Woche.”
Sie starrte ihn an, blinzelte und riss ihm die Karte aus der Hand. „Danke.”
Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
So hatte er sich das Wiedersehen nicht vorgestellt.
Nick zog die Brauen hoch und blickte verblüfft auf die ge schlossene Tür. Die Maggie Smith, die er in Erinnerung hatte, mochte scheu gewesen sein, aber sie war nett gewesen.
Natürlich hatte die alte Maggie Smith auch dürr und reizlos ausgesehen.
Jetzt jedoch war sie ein verdammt attraktive Frau.
Möglicherweise hielt Maggie ihn für eine Art Bösewicht, da er vorübergehend im County Home für straffällig gewordene Jugendliche untergebracht gewesen war. Sein „Verbrechen”, eine Vergnügungsfahrt mit Linda Lansky auf dem neuen Motorrad ihres älteren Bruders, war harmlos gewesen. Aber Bobby Lansky hatte sich nicht verständnisvoll gezeigt, und der Richter leider auch nicht.
Nick hatte es nichts ausgemacht, ins County Home zu kommen. Lucas und Killian waren zur selben Zeit dort gewesen. Wenigstens bekam er im County Home regelmäßige Mahlzeiten, und niemand schlug ihm mit der Faust in den Magen, weil er eine Jacke auf einem
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