Diese Sehnsucht in meinem Herzen
den Nate fassen konnte, als er die Hände um den Hals seines Vaters schloss, war: Das ist das erste Mal, dass ich diesen Mann freiwillig berühre. Dann betrachtete Nate seine Finger, sah, wie sie zudrückten… So hatte er sich selbst noch nie erlebt, und trotzdem hatte er immer gewusst, dass er dazu fähig war. Es lag an seiner Herkunft.
Schließlich war er der Sohn dieses Mannes.
Plötzlich spürte er, dass ihn jemand an den Schultern zurückriss, und er hörte Dereks Stimme: „Nate! Das reicht jetzt! Das ist es doch nicht wert!“ Doch Nate drückte weiter zu.
Jonathans Augen traten hervor. Alles Weitere erlebte Nate wie in Zeitlupe: Sein Vater hob den Arm, ballte die Hand zur Faust und holte aus… und vor Nates innerem Auge lief ein uralter Film ab:
Nun hör mir mal gut zu, du kleiner Mistkerl! Gerade mal zehn, und du glaubst schon; dass du schlauer bist als ich? Du hörst mir jetzt zu, dafür sorge ich!
Nate ließ seinen Vater los und hielt sich die Hände vors Gesicht, um den Angriff abzuwehren. Verzweifelt schlug er um sich. Seine Faust traf auf etwas, und jemand schrie vor Schmerz auf. Als Nate genau hinschaute, sah er, dass Josey sich die Hand an die Wange hielt. Er hatte sie getroffen, nicht seinen Vater.
Sie hatte sich zwischen ihn und seinen Erzeuger gestellt, und Nate hatte sie geschlagen.
„Josey…“, begann er heiser, ihm fehlten die Worte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
„Mach dir keine Sorgen, es war doch nur ein Versehen. Alles halb so schlimm“, versicherte sie ihm, aber er sank in sich zusammen und musste sich gegen die Wand lehnen. Sein Bruder kam auf ihn zu und stützte ihn. „Nun komm schon“, sagte Derek. „Warte am besten in der Küche, bis er weg ist. Beruhige dich erst mal.“
Aber Nate war noch nicht so weit, sich zurückzuziehen. Unbändige Wut stieg in ihm auf, die sich in einem explosionsartigen Ausbruch entlud. „Hau ab!“ brüllte er seinen Vater an. „Geh wieder dahin, wo du hergekommen bist!“
„Ja, höchste Zeit, dass Sie von hier verschwinden“, fügte Josey hinzu, ging durchs Wohnzimmer in den kurzen Flur und öffnete die Wohnungstür.
Derek tat ein Übriges. „Ich zeige dir den Weg, wenn du ihn selbst nicht findest.“
„Ich gehe ja schon“, erwiderte Jonathan und ließ dabei den Blick keine Sekunde lang von Nate. „Aber ich komme wieder. Wir haben uns lange nicht gesehen, aber wir finden bestimmt 1 noch eine Regelung. Schließlich fließt in unseren Adern das gleiche Blut.“ Bevor er nach draußen ging, zündete er sich noch eine Zigarette an und blies eine stinkende Rauchwolke in die Wohnung.
Sobald er draußen war, schlug Josey die Tür hinter ihm zu. Geistesabwesend rieb sie sich erneut die Wange, und Nate wurde ganz übel dabei. Die Knie wurden ihm weich, also ging er schnell ins Wohnzimmer und setzte sich dort aufs Sofa. Derek und Josey folgten ihm. Nate bemerkte, wie die beiden sich ansahen.
Schließlich sagte Derek zu Josey: „Was…?“
Josey reagierte sofort. „Ich wusste das alles nicht. Ich wusste ja nicht mal, dass er überhaupt noch…“
„… lebt“, ergänzte Derek. „Ja, ich weiß. Und ich glaube, ich verstehe auch, was du dir bei der Sache gedacht hast. Ich frage mich bloß… hast du geahnt, dass er doch nicht tot ist? Und wie und wo hast du ihn überhaupt gefunden?“
„Ich habe nicht nach ihm gesucht, er hat mich gefunden“, erklärte Josey aufgebracht. „Das heißt, er hat euch gefunden. Heute Morgen sind wir uns unten im Eingang begegnet. Er wusste, dass Nate hier wohnt, und er hat mir erzählt, dass er euch beide vermisst und dass ihr von ihm weggelaufen seid. Stimmt das denn? Dass ihr von zu Hause weggelaufen seid?“
„Ja“, antwortete Derek.
„Und wusstet ihr auch, dass er noch lebt?“
„Ja.“
„Aber… Nate hat doch gesagt, dass er tot ist. Das habe ich Jonathan auch erzählt. Ich dachte, er würde mich anlügen, und habe ihn für jemanden gehalten, den Nate mal ins Gefängnis gebracht hat und der sich jetzt rächen wollte oder so.
Aber dann hat er mir Bilder gezeigt. Von dir… und Nate.“
„Nate ist übrigens auch anwesend“, hielt Nate ihr entgegen. Er nahm all seine Kraft zusammen und stand auf. „Und Nate möchte jetzt gern mit Josey über ein paar Dinge sprechen, also wenn Derek uns entschuldigen würde?“
„Es tut mir Leid, ich wollte nicht einfach über deinen Kopf hinwegsprechen“, sagte Josey schnell. „Du warst bloß so aufgewühlt, und ich dachte, du würdest uns
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