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keine Ahnung, ob es bei seiner Hawaiireise nicht doch die Hälfte der Zeit geregnet oder das Hotel an eine Baustelle gegrenzt hat.
Svens Online-Profile waren ein Auftritt, eine PR -Maßnahme in eigener Sache. »Broadcast yourself« – der YouTube-Slogan steht für eine Generation leidenschaftlicher Selbstdarsteller, die mit der Inflation von Digital- und Handyfotografie und dem Web 2.0 die passenden Werkzeuge an die Hand bekommen hat.
Es hat wie gesagt zwei Milchkaffees und eine lange Unterhaltung bedurft, um zumindest zu erahnen, wer sich hinter dieser Fassade verbarg: ein Mann, der Angst hatte, dass die Beziehung zu einer Frau seine Energie fressen könnte, ihn abbringen würde von seinem beruflichen Weg. Und der eine grundsätzliche Skepsis empfand für die Glücksversprechen langer Beziehungen.
Wie die meisten seiner Generation hat auch Sven gelernt, sich überall und allezeit zu verkaufen, und er macht das so gut, dass es anderen Menschen schwerfällt, hinter die Kulissen seiner Show zu schauen, zu seinem wahren Ich vorzudringen; wobei ich darunter nicht die Castingshow- und Politikberater-Vokabel »Authentizität« verstehe (diese ist in aller Regel nur eine einstudierte Form des Echt-Wirkens): Ich meine den Unterschied zwischen dem, was wir sein wollen, und dem, was wir sind. Das hat sich irgendwie vermischt.
Als »professioneller Dampfplauderer«, wie Sven sich im Hinblick auf seinen Beraterjob gerne bezeichnet, »performt« er wahrscheinlich auch bei Dates: unerschütterlich selbstbewusst und tendenziell ichbezogen. Doch nicht nur ich, bestimmt auch das Mädchen, das Sven nach Essen hinterhergereist ist, dachte: Wo finde ich den echten Sven? Ist da unter dem Firnis von Weltgewandtheit und Tumi-Checkertum etwas, das meine Seele berührt?
Die Psychologin Jean Twenge von der San Diego State University nennt Sven und seine Altersgenossen, die nach dem Pillenknick in den Siebzigern groß geworden sind, die »Generation Me«. Als Wunschkinder auf die Welt gekommen, von ihren Eltern immerfort ihrer Einzigartigkeit versichert, greifen diese ganz selbstverständlich nach dem Besten in allen Lebensbereichen. Gleichzeitig sind sie mit den Imperativen der Leistungsgesellschaft aufgewachsen, sie haben sich daran gewöhnt, permanent im Vorstellungsgesprächsmodus zu sein. An der Ichbezogenheit der Partnersuchenden von heute zeigt sich einer der deutlichsten Unterschiede zum romantischen Ideal des 19. Jahrhunderts. Die Liebe, wie sie in Gedichten von Novalis, Goethe und Eichendorff beschrieben wurde, war eine Hingerichtetheit auf einen anderen, eine Selbstaufgabe der eigenen Person; was zählte, war allein das Gefühl. Heute lautet die indirekte Frage an jeden potentiellen Partner: Was kannst du mir bieten? Erst wenn die Rahmenbedingungen erfüllt sind, kommt das Herz ins Spiel.
16 000 Studenten hat die Psychologin Twenge über zwanzig Jahre hinweg im Rahmen ihrer Langzeitstudie befragt. Ihr Fazit: So selbstfixiert wie die Studenten der Nuller-Jahre ist keine Generation vor ihr gewesen. Die Zustimmungswerte zu Fragebogenaussagen wie »Wenn ich die Welt beherrschen könnte, wäre sie ein besserer Ort« oder »Ich finde, ich bin eine spezielle Person« sei dreißig Prozent höher als noch 1982. Der durchschnittliche Student erreichte 2006 fast so hohe Werte wie der Durchschnitt einer Vergleichsgruppe aus zweihundert Schauspielern und Musikern, die denselben Fragebogen ausfüllten – bisher galten Prominente als deutlich narzisstischer als Normalbürger. Mit drastischen Worten spricht Twenge von einer »Epidemie des Narzissmus«.
Allein an dem inflationär gewordenen Satz »Ich brauche mehr / mal wieder Zeit für mich« sieht man, wie diese Form des Egoismus gesellschaftsfähig geworden ist: Mit dem Startsignal zum Egotrip werben nicht nur Teesorten, Duschgels und Eiscremes, er ist auch in den Phrasenschatz jedes berufstätigen Dreißigjährigen übergegangen. Als wären sie Rockstars, die dauernd Interviews geben müssen, hört man die High-Performer allenthalben hecheln: »Nach dieser Woche / diesem Projekt / dem Stress der letzten Tage brauche ich erst mal Zeit für mich«. Wie soll in das enge Korsett aus beruflicher Selbstverwirklichung und Me-Time noch ein Partner eingepasst werden, der ebenfalls einen eigenen Lebensplan hat und beruflichen Zwängen unterliegt?
»Im Moment passt es mir gar nicht« – Ein neues Verständnis von Bindung
Die Bindungsangst meines alten Bekannten Sven ist nicht nur ein Problem
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