Diesen Sommer bin ich dein
augenblicklich in die Bibliothek geführt worden.
Wulfric Bedwyn, Duke of Bewcastle, war
nicht der Mann, dem sich ein vernünftiger Mensch absichtlich in den Weg stellen
würde. Groß, dunkel, eher mager, mit durchdringenden grauen Augen in einem
schmalen Gesicht, einer großen Hakennase und schmalen Lippen, trug er eine anmaßende
Haltung zur Schau, die seiner Herkunft entsprach. Er war von der Wiege an auf
seine gegenwärtige Position hin erzogen worden und hatte sich daher immer ein
wenig von seinen Brüdern und den Freunden seiner Brüder fern gehalten, auch
wenn er nur ein gutes Jahr älter war als Kit. Er war kalt und humorlos.
Er war nicht vor Zorn explodiert, als er
von Kits Verlobung hörte. Er hatte lediglich ein elegant gekleidetes Bein über
das andere geschlagen, einen Schluck aus seinem Glas genommen - natürlich
der edelste, französische Branntwein - und hatte sanft und freundlich
gesprochen.
»Zweifellos«, hatte er gesagt, »wirst du
mir das erklären.«
Kit hatte sich genauso gefühlt, wie er sich
stets während seiner Kindheit gefühlt hatte, wenn er wegen irgendeiner Dummheit
vor den Direktor der Schule gezerrt wurde ungerechterweise in der Defensive. Er
konnte es gerade noch rechtzeitig vermeiden, sich dementsprechend zu verhalten.
»Und du wirst mir erklären«, hatte er
ebenso freundlich erwidert, »warum du lieber mit meinem Vater als mit mir, ihrem
geplanten Ehemann, einen Heiratsvertrag für deine Schwester ausgehandelt hast.«
Lange, schweigende Momente lang ruhten zwei
kalte unergründliche Augen auf ihm.
»Du wirst verzeihen«, sagte seine Gnaden
schließlich sanft, »dass ich dir nicht zu deiner Verlobung gratuliere,
Ravensberg. Aber lass dir dennoch gratulieren. Du besitzt ein feines Gespür für
Rache. Feiner als früher. Sagen wir, weniger ungestüm?«
Er hatte sich natürlich auf eine
Begebenheit von vor drei Jahren bezogen, als Kit, nachdem er jerome die Nase
gebrochen hatte, Hals über Kopf nach Lindsey Hall hinübergeritten war und eine
halbe Stunde lang an die Außentür gehämmert hatte - es war spät in der
Nacht -, bevor Rannulf, Bewcastles Bruder und Kits spezieller Freund, sie
geöffnet und ihm gesagt hatte, er solle sich nicht zum Narren machen, sondern
nach Hause reiten. Als Kit gefordert hatte, aus Freyjas eigenem Munde die
Wahrheit über ihre Verlobung mit Jerome zu erfahren, war Rannulf
herausgekommen, und sie hatten ihre Hemden ausgezogen und sich eine geschlagene
Viertelstunde lang einen wilden Faustkampf geliefert, bevor ein stämmiger Lakai
und Alleyne, ein weiterer Bruder, sie voneinander getrennt hatten, beide wund
und blutend und beide fluchend und begierig, weiterzukämpfen. Bewcastle, der
vor der Tür stand und den Kampf schweigend beobachtete, hatte Kit dann geraten,
auf die Pyrenäenhalbinsel zurückzukehren, wo sein Zorn dienlicher wäre. Freyja
hatte neben ihm gestanden, den Kopf stolz erhoben, ein offen verächtliches
Lächeln auf den Lippen, während sie Kit ansah. Sie hatte kein Wort gesagt.
Jetzt, drei Jahre später, formulierte Kit
in Gedanken gerade eine Antwort auf die Worte des Duke, als die Tür zur
Bibliothek hinter ihm plötzlich gegen die Bücherregale krachte und der Blick
seiner Gnaden über Kits Schulter wanderte, wobei er hochmütig die Augenbrauen
hob.
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte er,
»dich aufgefordert zu haben, dich mir hier anzuschließen, Freyja.«
Aber sie betrat den Raum dennoch und näherte
sich Kits Sessel, wobei sie ihren Bruder ignorierte. Kit erhob sich, um sich
vor ihr zu verbeugen.
»Ihr habt Euch Zeit gelassen, den
Vergnügungen Londons adieu zu sagen«, meinte sie und schlug mit einer Reitgerte
gegen ihre Röcke. »Ich wollte gerade mit Alleyne ausreiten. Wenn Ihr mich
besuchen wollt, Lord Ravensberg, dürft Ihr mit Wulf eine Vereinbarung treffen,
und ich werde sehen, ob ich an jenem Tag frei bin.« Sie wandte sich zum Gehen,
ohne seine Antwort abzuwarten.
Sie hatte sich in den drei Jahren nicht
verändert. Von knapp mittlerer Größe und üppig gewachsen, hielt sie sich mit
stolzer Anmut. Niemand hatte Freyja jemals als hübsch bezeichnet, auch nicht in
ihrer Kindheit. Sie war eine der hellhäutigen Bedwyns und trug ihr dichtes, goldenes
Haar, wie sie es stets gerne getragen hatte, recht altmodisch in langen,
lockeren Wellen ihren Rücken hinabhängend. Wie die anderen hellhäutigen Bedwyns
besaß sie verblüffend dunkle Augenbrauen und einen dunklen Teint. Und die Familiennase.
Als Kind war sie so
Weitere Kostenlose Bücher