Diesen Sommer bin ich dein
kein Abschiedsgruß, kein Wort der Vergebung
»Du standest im Begriff, uns alle zu
ruinieren«, hatte Sydnam als Antwort auf seine Fragen gesagt. »Dich selbst am
allermeisten. Du musstest gehen. Ich dachte, du würdest dich Vater widersetzen.
ich dachte, du würdest Jerome wieder folgen und ihn umbringen. Ich sagte dir,
du solltest gehen, weil ich wollte, dass du gingst.«
Kit war zum Fenster getreten, dessen
Vorhänge zurückgezogen waren. Aber er hatte draußen nichts sehen können nur
sein eigenes Spiegelbild und jenes von Syd, der noch immer am Schreibtisch saß.
»Dann hast du mir die Schuld gegeben«,
hatte er gesagt. »ja.«
Dieses einzige Wort hatte sein Herz
getroffen. Er würde sich niemals verzeihen, was geschehen war, aber ohne Syds
Vergebung bestand keine Hoffnung auf irgendeine Art dauerhaften Friedens. Nur
mehr auf die rastlose Suche nach Vergessenheit, die er einigermaßen erfolgreich
erlangen konnte, während er noch beim Militär war, die aber unerreichbar war,
seit er sein Offizierspatent verkauft hatte. Er hatte es versucht. Er hatte
kaum gerastet, ob Tag oder Nacht.
»Ja, ich gebe dir die Schuld«, hatte Sydnam
gesagt. »Aber nicht so, wie du denkst.«
Es war es nicht wert gewesen, weiter
verfolgt zu werden.
»Glaubst du«, hatte Kit gefragt, »dass ich
nicht all dein Leid auf mich genommen hätte, wenn es möglich gewesen wäre? Ich
wünschte, ich wäre es gewesen. ich wünschte, ich hätte diese Wahl getroffen.
Wenn du wieder gesund werden könntest - glaubst du nicht, ich gäbe mein
Leben dafür?«
»Dessen bin ich mir sicher«, hatte sein
Bruder gesagt. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das tätest, Kit.« Aber in
seiner Stimme hatte keine Vergebung gelegen. Nur barsche Verbitterung. »Ich
möchte nicht darüber reden. Es war mein Leid, und dies sind meine Entstellungen,
und es ist mein Leben. Ich fordere nichts von dir, überhaupt nichts.«
»Nicht einmal meine Liebe?« Er sprach die
Worte beinahe im Flüsterton, zum Fenster gewandt.
»Nicht einmal das, Kit.«
»Nun.« Kit hatte sich lächelnd umgewandt
und sich dabei gefühlt, als wäre alles Blut aus seinem Körper gewichen. Ihn
hatte geschwindelt. Er war bewusst forschen Schrittes zur Tür gegangen. Er
hatte den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen, bevor er die
Augen schloss und den Kopf senkte.
Nein, niemanden hatte seine Rückkehr nach
Alvesley glücklich gemacht, am wenigsten ihn selbst. Er fühlte sich in seinem
eigenen Zuhause wie ein Fremder - ein unbequemer, unwillkommener Fremder.
Er fühlte sich nutzlos - er, der stets aktiv, überaus erfolgreich und in
seiner Karriere höchst geachtet gewesen war. Sein Vater hatte keinerlei
Anstalten gemacht, ihn in den Pflichten des Erben zu unterweisen oder ihn in
irgendwelche Tätigkeiten seiner täglichen Routine einzubinden. Vielleicht
wollte er bis nach den mehrtägigen Feierlichkeiten warten, wenn der Haushalt
wieder zur Normalität zurückgekehrt wäre. Und auch Kit hatte das Gefühl, als
warte er darauf, dass ein neuer Lebensabschnitt für ihn beginne - aber
der nächste Akt würde ein Maskenspiel sein. Eine Lüge. Es sei denn, er könnte
Lauren davon überzeugen, ihn nach allem doch zu heiraten und seine Ehre
zumindest teilweise zu retten, indem er ihr Gerechtigkeit widerfahren ließe.
Er hatte wieder nicht gut geschlafen. Und
als er aus reiner Erschöpfung doch eingenickt war, hatte der alte Alptraum sein
hässliches Haupt erhoben. Syd ...
Am späten Nachmittag befand er sich in
Gesellschaft seiner Mutter und seines Vaters - der seine Nachmittage
selten dort verbrachte - sowie seiner Großmutter im Salon. Die anderen
waren in ruhige Unterhaltungen vertieft, während Kit nicht vorgab, etwas
anderes zu tun, als wartend am Fenster zu stehen, den Blick auf jenen Punkt der
Auffahrt jenseits der Brücke geheftet, wo man ihre Kutsche zuerst erblicken
würde. Sie alle warteten natürlich auf die unerwünschte, unwillkommene Ankunft
der Gäste - obwohl niemand so unhöflich war, dies in Worte zu fassen.
Kits Verlobung hatte einen unangenehmen
Bruch mit ihren Nachbarn auf Lindsey Hall bewirkt, dem sechs Meilen entfernten
Heim des Duke of Bewcastle und der Bedwyns, seiner Brüder und Schwestern. Kit
war am ersten Morgen nach seiner Rückkehr hinübergeritten und hatte dar-um
gebeten, mit seiner Gnaden sprechen zu dürfen. Bewcastle musste natürlich
angenommen haben, es sei ein Höflichkeitsbesuch, um formell um Freyjas Hand
anzuhalten. Kit war fast
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