Dieser graue Geist
vorbei und aus dem Raum.
»Fürs Erste«, ergänzte sie leise.
Seit fünf Minuten klingelte sie nun schon, und noch immer reagierte niemand. Und das, obwohl sie doch schon drei Mal vergeblich anzurufen versucht hatte, seit Dr. Girani sie vom jüngsten Vorfall unterrichtet hatte. Phillipa hielt sich für eine geduldige Frau, doch Notfälle waren Notfälle. Und diese Situation war definitiv einer.
Im Laufe ihrer Sitzungen mit Thriss hatte sie sich ein Bild von der Beziehung zwischen ihrer Patientin und Shar machen können. Und sie hatte ein paar Gefallen eingefordert, um Zugang zu einer andorianischen Datenbank zu erhalten, in der die von Thriss beschriebenen körperlichen Vorgänge wissenschaftlich erläutert wurden. Shar und Thriss hatten das Tezha vollzogen, was eine Art sexueller Intimität darstellte – aber nicht, wie sie die meisten Humanoiden kannten. Beim Tezha entstand fast buchstäblich ein Band zwischen den Bündnispartnern, eine nahezu greifbare, biochemische Verbindung. Körper wurden aufeinander geeicht, Hirnwellen und Hormonhaushalt derart geprägt, dass sie jeden Partner unter Tausenden herausfiltern konnten. Das Ergebnis ähnelte dem Bund zwischen Eltern und ihren Kindern. Doch wenn Bündnispartner vor dem Shelthreth derart intim wurden, konnte daraus eine Gefahr für den Zusammenhalt der gesamten Gruppe erwachsen. Thriss fühlte sich Shar weit mehr verbunden als den anderen. Galt das auch umgekehrt? Waren Anichent und Dizhei ebenfalls nicht eng genug an ihre Partnerin gebunden, um ihr in dieser emotionalen Krise die nötige Stütze zu sein? Phillipa wusste es nicht. Aber sie befürchtete es.
Nun, vor der Tür zu Shars Unterkunft, trat sie von einem Bein aufs andere. Würde Thriss auf einen Kontaktversuch via Kommunikator reagieren? Bevor ihre Hand das Gerät berührt hatte, glitt die Tür endlich auf, und Anichent erschien.
»Guten Tag, Counselor«, grüßte er. »Bringen Sie Neuigkeiten von Colonel Kira? Vielleicht einen Brief von Shar?« Seine stocksteifen Antennen verrieten mehr über seinen Gemütszustand, als es seine lässige Pose am Türrahmen überspielen konnte. Netter Versuch, Anichent.
»Dr. Girani sagte mir, was passiert ist. Ich bin gekommen, um Thriss zu sehen.« Sie trat einen Schritt vor, doch Anichent machte keinerlei Anstalten, ihr aus dem Weg zu gehen. Da er nicht der gesprächige Typ ist, versucht er’s mit körperlicher Einschüchterung , folgerte sie. Ich beherrsche den vulkanischen Nervengriff. Damit habe ich ihn binnen einer Sekunde am Boden, wenn es sein muss. Und Dizhei? Die schaffe ich auch. Doch derartige Gewalt blieb für sie stets Theorie. Phillipa neigte nicht dazu, Schlägereien anzufangen. Dennoch beruhigte es sie, für etwaige Bedrohungen gerüstet zu sein. Niemand rechnet damit, dass ausgerechnet ein Counselor es draufhat.
»Thriss ruht sich gerade aus. Sie können sie morgen besuchen.« Anichent verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich verstehe, warum sie gekommen sind, und wir wissen Ihre Anteilnahme zu schätzen. Aber dies ist eine Familienangelegenheit, und Dizhei und ich werden sie zu meistern wissen.«
»Sie hätte fast einen Patienten attackiert, Anichent«, sagte Phillipa. »Ein Kind. Das passt überhaupt nicht zu ihr. Erwachsene, okay, aber Kinder? Niemals. Wenn sie Shars fehlender Brief derart mitnimmt, könnte sie sich einem immensen Rückfall gegenübersehen!« Ihr hatte die Zeit gefehlt, den kompletten Bericht zu lesen, doch sie wusste genug, um besorgt zu sein.
Ein Grundschulkind hatte sich im Sportunterricht einen Bruch zugezogen und war auf die Krankenstation gebracht worden. Girani, die gerade beschäftigt gewesen war, hatte Thriss und Ensign Manusco, die Schwester, darum gebeten, es zu untersuchen. Reine Routine. Doch während Manusco die Untersuchung vorbereitete, hatte sich Thriss immer mehr über das weinende Kind aufgeregt. Schließlich hatte sie es angeschrien und frustriert ein Tablett voller medizinischer Instrumente durch den Raum geworfen. Das Kind war zu Tode erschrocken gewesen.
»Wir alle sind traurig, nichts von Shar gehört zu haben, aber es gibt immer ein nächstes Mal.« Anichents sturer Tonfall riss Phillipa aus ihren Gedanken. »Wir sind für Thriss da. Wir helfen ihr, mit der Situation umzugehen. Ratsmitglied zh’Thanes Rückmeldung steht noch aus, aber ich schätze, dass wir morgen nach Andor aufbrechen. Es ist besser so.«
Phillipa verlagerte ihr Gewicht aufs andere Bein. »Ihr Wir-Gefühl in allen Ehren, aber
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