Dieser Mann ist leider tot
längeren, tieferen Kuß erinnern, seit sie einander umworben hatten. Danach schritt er davon wie der Held in einem Western. Nur ein flüchtiger Blick über die Schulter ließ das Furnier seiner stoischen Gelassenheit brechen und ihn wieder zu dem Geschöpf aus Fleisch und Blut werden, das sie geheiratet hatte.
Als sie die Stufen zum ›Chattahoochee Art, Film, and Photography Salon‹ hinaufsteigt, stellt Grace Rinehart sich vor, daß die Kameras laufen. Eine Nachtszene. Eine geheimnisvolle Frau geht zu einer Verabredung mit einem geheimnisvollen Mann.
In Abwesenheit ihres von seiner Arbeit aufgesogenen Gatten – was bleibt ihr sonst? Sie könnte in der Berthelot-Villa bleiben und Hirams nächsten Besuch abwarten, aber die Abstände zwischen diesen Besuchen scheinen länger zu werden, und wenn Filmbilder ihrer selbst die einzige Gesellschaft sind (ihr eigenes Gesicht und ihre Gestalt, endlos vervielfacht auf den Monitoren rings um sie herum), werden die Nächte lang und demoralisierend.
Und so treffe ich mich mit meinem Liebhaber, sagt sie sich eine Stunde nach Mitternacht, als sie die Eisengittertür aufschließt und hineingeht.
Der Reflex der roten Ampel an der Ecke Hines und Railroad Street funkelt im Fenster des Foyers und gießt einen blinkenden Fleck auf den weißen Steinfußboden. Grace steht im Dunkeln und stellt sich vor, daß der Regisseur jetzt auf eine Innenaufnahme aus großer Höhe geschnitten hat; ihr verkürzter Körper verleiht der Szene ein impressionistisches Air von klaustrophobischer Bedrohlichkeit. Jeder, der die Szene in einem Kino sähe, würde allein aus dem Aufnahmewinkel der Kamera schließen, daß ein suchendes Augenpaar Grace erfaßt hat, und sie fortan unerbittlich durch den ganzen Salon verfolgen wird.
Schalte das Licht ein! möchte jeder anonyme Zuschauer rufen. Sei nicht blöd! Schalte das Licht ein!
Aber sie denkt: Mein Liebhaber ist schon hier, und er hat die Galerien im Dunkeln belassen, um das Glamouröse unseres Stelldicheins zu verstärken. Unser Regisseur ist einverstanden. Die Dunkelheit wird seine beiden Hauptdarsteller zu einem Sturm photogener Leidenschaft entbrennen lassen, die durch irgendwelches Licht nur … nun, zum Gemeinplatz würde, wenn nicht gar regelrecht schmierig und abstoßend. Laßt mich also im Dunkeln zu meinem Liebhaber gehen, und die hochempfindlichen Color-Kameras sollen mir folgen, als wäre ich in Gefahr statt in Brunst …
Wen hat sie hergelockt aus der Schar ihrer früheren Partner, einer so sexy wie der andere? James Garner? Cliff Judson? William Shatner? Oder vielleicht ist es einer von jüngerem Blut. Keith Carradine? Fordham Hayes? Geoff Bridges? Sie kann sich nicht erinnern, wen sie angerufen hat, wem das Ferngespräch galt, ob es dem Betreffenden ernst war, als er die Einladung annahm, oder ob es nur ein scherzhafter Flirt war, aber als sie aus dem Foyer in die Galerie der Populär-Americana schlendert, spürt sie, daß ihr Liebhaber sie oben erwartet. Wenn er sich weigert, seine Anwesenheit zu offenbaren, so nicht nur, um ihren Appetit aufeinander zu schärfen, sondern auch, um die dramatische Spannung dieser Sequenz zu steigern. Wie sie ist der Mann ein Profi, und ein Profi ist jederzeit bereit, selbst die unmittelbare fleischliche Erfüllung für einen atemberaubenden cinematographischen Coup zu opfern. Und so grinst sie, derweil sie weiterschlendert, aber jedesmal wenn die Kamera sie frontal aufnimmt, verbirgt sie das Grinsen hinter einem Schmollmund von ratloser Erwartung.
Der Schmollmund, Grace Rineharts Erkennungszeichen.
»Luciano!« ruft sie. (Luciano, findet sie, ist ein guter fiktionaler Name für den, der sie hier erwartet.) »Luciano, bist du hier?«
Die Frage hallt auf und ab in den Galerien.
Sie schlendert weiter, umgeht ein Podest mit einem bronzenen Standbild von Checkers – dem Hund der Nixons während der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower und Namensgefährte des T-Schiffes, das Dick, Cal und Bischof Marlin zum Mond bringen wird. Grace läßt die Finger liebkosend über die bronzenen Falten an Checkers’ Schnauze streifen (kein Wunder, daß die Nixons diesen Hund geliebt haben) und wandert dann weiter zur nächsten Statue, einer sinnlichen Marmorskulptur von MariLou Monroe, der heimlichen Gespielin des Bastards JFK. Die Kamera schwenkt von der mondweißen Monroe zu der schattendunklen lebendigen Frau und wieder zurück. Ein Zeitlupenpanoptikum der Kinogöttinnen.
»Luciano!«
Der Name hallt, das
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