Dieser Mann ist leider tot
»aufgeplusterter Bluff« war, aber man hoffte und glaubte, daß es so war.
»Hey, Vike, hast du Hunger? Wie hätte dir ein Breschnew-Bär zum Mittagessen gefallen?«
Der Hund setzte sich und schaute Cal aufmerksam an.
Yeah, ich hätte dir diesen Breschnew-Bären mitbringen sollen, dachte Cal. Du hättest ihn sehr viel schneller erledigt, als ›Mein bester Quetscher‹ Mr. K.s Mäuse verputzt, nicht wahr?
Cals schaute nach den Wasser- und Futternäpfen auf der Veranda. Das Futter war natürlich weg, aber im Wassernapf war noch Wasser. Im Februar, als er und Lia beschlossen hatten, Viking im Garten anzuketten, war die Temperatur ein paarmal unter den Gefrierpunkt gefallen, und das Wasser des Hundes hatte sich im Napf in klaren Stein verwandelt. Bis er und Lia von der Arbeit nach Hause gekommen waren, war Viking so durstig gewesen, daß er drei oder vier Kochtöpfe voll Wasser leergeschlappert hatte, kaum daß sie ihn ins Haus geholt hatten.
Der einzige Nachteil bei dem Verfahren, den Husky vor ihrer Doppelhaushälfte anzubinden – das heißt, wenn man von der Langeweile absieht, die für ihn damit verbunden war –, bestand eigentlich darin, wie es sich auf den Garten auswirkte. Unter dem mickrigen Magnolienbaum hatte er sich eine Suhle gegraben, und er hatte seine Kette so viele Male durch das Gesträuch vor dem Haus hin und hergezogen, daß er einige der Sträucher entwurzelt hatte. Aber die McVanes, denen das Haus gehörte, beschwerten sich nie über Vikings brutale Landschaftsgestaltungstechniken. Lia behauptete, Mrs. McVane tolerierte das Zerstörungswerk, weil sie sich sicherer fühlte, wenn der Hund Wache hielt.
Cal schloß die Haustür auf und ging hinein, und er ließ Viking mit ins Haus schlüpfen. Er drehte die Heizung an, wusch sich am Spülbecken in der Küche die Hände und setzte sich mit einem Plastikbecher Joghurt an den Tisch. Mittagessen. Ein verspätetes Mittagessen. Er war nicht verrückt nach Joghurt, aber Lia hatte immer ein paar Becher im Kühlschrank, und da er keine Lust hatte, sich etwas irgendwie Kompliziertes oder Zeitraubendes zu machen, wählte er den Weg des geringsten Widerstandes. Blaubeerjoghurt. Das schmeckte besser als gebratene Mäuse oder rohes Meerschweinchen, und weil er sich allmählich matt fühlte – vielleicht hatte die Tollerei mit Viking ihn die letzten Kräfte gekostet –, hatte er sich selbst gegenüber die Verpflichtung empfunden, etwas runterzuwürgen. Irgend etwas.
»Runtergewürgt.« Das war der Ausdruck, den Lone Boy benutzt hatte, um seine einzige Leseerfahrung mit Philip K. Dick zu beschreiben.
Dumm, dachte Cal. Ungerecht.
Jetzt brachte er keinen Joghurt mehr runter. Das Zeug sah aus wie Holzleim, in den man einen Klecks Tinte hineingerührt hatte. Er stand auf, suchte eine Müsli-Schale aus dem Schrank, kippte den Joghurt hinein und stellte sie für Viking auf den Boden. Viking verschlang den Joghurt mit einem einzigen geräuschvollen Schluck und schob die Schale dann bis an den Herd bei seinen Versuchen, sie sauber auszulecken.
Cal ließ ihn, wo er war, und ging durch die Diele in das winzige Zimmer, das er und Lia zur ›Bibliothek‹ erklärt hatten. Lia besaß einen Schreibtisch, einen Aktenschrank und eine teure Korrekturschreibmaschine sowie einen billigen Bücherschrank aus dem Kaufhaus, der einen großen Teil ihrer Lehrbücher vom Colorado College enthielt. Cal hatte ein turmhohes Kiefernholzregal, dessen Bretter auf Ziegelsteinen ruhten, für seine Western, Kriminalromane und Fantasy Fiction-Taschenbücher. Ein zweiter solcher Turm enthielt die ›seriösen‹ Bücher: Große englische und amerikanische Prosa, eloquente Lyrik, gelehrte Historienwerke und profunde Philosophie. Die zerlesenen Exemplare von P. K. Dicks zeitgenössischen Romanen beanspruchten eines der oberen Borde in seinem zweiten Turm.
In dem Zimmer stand außerdem – mit einem Kissen versehen, so daß man darauf sitzen konnte – eine vergammelte olivgrüne Army-Kiste, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Cal nahm das bestickte Kissen von der Kiste und schleuderte es in die Diele. Dann kniete er vor der alten Kiste nieder, öffnete das Vorhängeschloß mit seinem Schlüssel und klappte den verbeulten Deckel auf. In einem Haufen stockfleckiger Briefe von seinen Eltern (etliche von ihnen mit der Schere durchlöchert, andere mit schwarzer Tinte unleserlich verschmiert – namens des Bürgerzensurausschusses) lagen die spiralgebundenen Mappen, in denen Cal seine
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