Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
Vom Netzwerk:
Sie sie mir zu. Los! Machen Sie schon!«
    Lia gehorchte; sie zählte ihr übliches Sitzungshonorar ab und warf ihm die schwere Brieftasche auf den Schoß. Er schob sie mit beträchtlicher Mühe in die Tasche seiner ›Members Only‹-Jacke. Welchem Continuums-Club mag er angehören? fragte Lia sich. Vielleicht haben ja nur Mitglieder Zutritt, aber er scheint gegen seinen Willen dorthin zurückzukehren.
    »Noch ein letztes«, brachte er heraus, und seine Stimme klang blecherner denn je.
    Shawanda hockte sich anscheinend impulsiv lässig neben ihn, legte den Kopf schräg, um sein gespenstisches Verschwinden zu beobachten, und streckte die Hand nach seinem Arm aus.
    »Nicht«, befahl er knapp. Dann, als wolle er das Verbot mildern, fügte er hinzu: »Ich bin noch nicht völlig weg, Miss Bledsoe. Ich bin weder hier noch dort.«
    »Was wäre das letzte?« fragte Lia. »Was?«
    »Die Nadel, die Sie da tragen – die Ihr Mann Ihnen geschenkt hat – es ist ein Ikon, das spirituell benachteiligte Menschen sicher lange und angestrengt suchen dürften. Eine Nadel im Heuhaufen, gewissermaßen.« Kai lachte schallend; es war das panisch kakophone Gejohle eines Nichtschwimmers, der auf dem Sprungbrett über dem tiefen Ende eines riesigen Swimming-pools balancierte. »Himmel. Entschuldigen Sie. Ich wollte nur sagen, sie gefällt mir. Sie ist schön. Verlieren Sie sie nicht!«
    Lia blickte auf ihren Blazer hinunter. Auf dem Revers blinkte eine goldene Anstecknadel – sehr einfach – mit dem Intaglio-Bildnis eines Fisches im Profil. Wo kam sie her? Ich habe so eine Brosche nicht, dachte sie. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, daß ich eine solche Brosche haben soll. Sie gehört nicht zu der Sorte von Dingen, die Cal mir kaufen würde. Sie ist christlich – ein christliches Symbol, älter noch als das Kreuz, und Cal hatte nie etwas übrig für religiöse Ikonographie. Er würde mir eher einen breitkrempigen Lederhut schenken, oder ein neues Paar Allwetterstiefel …
    Kai war vollends verblaßt. Der Sessel, dessen Fußstütze immer noch hochgeklappt war, enthielt nichts als den warmen Abdruck des Wesens – Mann, Geist, transdimensionaler Besucher –, das hier einen Augenblick zuvor gesessen und von Selbstmord und Kaffee geredet hatte. Shawanda sah Lia an, Lia Shawanda, und die vorfrühlingshafte Kälte im Büro durchdrang sie beide wie ein Regen winziger Eisenpfeile.
    »Ich sag keinem was davon«, versprach Shawanda, »wenn Sie’s auch nicht tun.«
    »Haben wir Halluzinationen? Wir müssen halluzinieren.«
    »Schauen Sie doch den Sessel an. Da ist ’n Hintern abgedrückt. Und sehen Sie, die Kaffeetasse auf dem Tablett. Sie ist fast leergetrunken.«
    »Ein Geist?«
    »Geister hinterlassen keine Hinternabdrücke und saufen keinen Kaffee. Und sein Geld haben Sie auch.« Dann sagte Shawanda: »Oh!« und fügte rasch hinzu: »Wenn er auch vergessen hat, seinen armen Taxifahrer zu bezahlen.«
    Lia ging zum Sessel, berührte ihn. Kribbelnd lief es an ihrer Wirbelsäule auf und ab, über ihre Handgelenke und Unterarme. Ein haarsträubendes Erlebnis, dachte sie. Ich habe schon davon gehört, aber dies ist das erstemal, daß ich wirklich etwas erlebt habe, das nicht bloß ein Gruselspaß für Kinder an Halloween war. Und es wird mein Leben verändern.
    Sie wandte sich Shawanda zu. »Habe ich diese Nadel getragen, als ich heute morgen kam? Erinnern Sie sich?«
    »Nein«, sagte Shawanda. »Ich erinnere mich nicht. Ist aber trotzdem hübsch.«
    »Sie erinnern sich nicht, und ich kann mich nicht einmal erinnern, so etwas je besessen zu haben. Kai und ich, wir sind beide Amnesiker.«
    »Ja, Ma’am.«
    »Was, glauben Sie, ist hier heute morgen passiert, Shawanda?«
    »Ich weiß nicht. Aber ich kann Ihnen sagen, woran es mich erinnert.«
    »Woran?«
    »Wie Jesus mit den beiden etwas verstörten Jüngern nach Emmaus ging und sie ihn erst erkannten, als er mit ihnen das Brot brach.«
    Lia starrte ihre Sekretärin beklommen an. »Sie glauben, Kai ist Jesus Christus?« Mr. X, dachte sie. X ist der griechische Buchstabe Chi, und Chi ist, wie er uns sagte, das alte Symbol für Christus.
    »Was? Jesus in einem ›Members Only‹-Jackett?« Shawanda ging zum Fenster und schaute auf die Hauptstraße der Stadt hinaus. »Nein, ich glaube, der Mann hat die gleiche Art Körper wie Jesus, als er verklärt worden war. Einen Auferstehungskörper. Er wollte nicht, daß ich ihn anrührte, genau wie Jesus nicht wollte, daß Maria Magdalena ihn am Grab

Weitere Kostenlose Bücher