Dieser Mann ist leider tot
illegalen Kopien von Philip K. Dicks unveröffentlichten Science Fiction-Romanen aufbewahrte.
In der Sowjetunion, sowohl vor als auch nach der Detente, hatten systemkritische Autoren ihre Schriften unter ihren Freunden in Form von selbstverlegten Manuskripten verbreitet, die oft nur Durchschläge oder Fotokopien der Originaltyposkripte waren. Dieses System nannte man ›Samisdat‹, Selbstverlag, ein Ausdruck, der gewiß schon um 1970 herum entstanden war, der seine Vorläufer aber vielleicht schon zur Zarenzeit gehabt hatte.
Tja (entsann Cal sich), mit der Ankunft der gefürchteten Klopfnicht-Truppe kurz nach Nixons Niederlage gegen Herbert Humphrey im Jahr 1968 und mit dem Verbot der Redefreiheit während seines Siegeszuges in Vietnam war Samisdat auch in die Vereinigten Staaten von Amerika gekommen.
Als Antikriegs-Student an der Universität Colorado gegen Ende der sechziger Jahre und später als Ranch-Helfer während der beiden ersten Amtsperioden Nixons hatte Cal eine kleine, aber belastende Bibliothek von ›selbstverlegten‹ Manuskripten erworben. Trotz der nordvietnamesischen Kapitulation im Jahr 1974 und der angeblich zunehmenden ›Milde‹ des Präsidenten seit seinem Erdrutschsieg über die Demokraten im Jahr 1980 konnte Cal, wie er wußte, für den Besitz dieser Fotokopien immer noch in den Knast wandern. Lia und er hatten sich schon oft deswegen gestritten – viel heftiger, als sie jemals über die Frage gestritten hatten, ob sie den Hund behalten sollten.
Vor ihrem Umzug nach Georgia hatte Lia sogar vorgeschlagen, Cal solle all seine illegalen Dickiana zusammenpacken und sie auf einem Scheiterhaufen auf Arvill Rudds Ranch verbrennen. Sie fand, sie sollten einen neuen Anfang machen, und so verlockend ihm die Vorstellung auch erschienen war, er hatte es nicht vermocht, Dicks Werke zu vernichten. Dieses gehetzte Genie hatte seine Romane als empörten Aufschrei gegen die schmierigen ›Bombardiert sie, bis sie schreien!‹-Köpfe von King Richard und seinen größenwahnsinnigen Henkersschergen geschrieben. Außerdem hätte er die Erinnerung an seine Mom und seinen Dad verraten, wenn er die Bücher angezündet hätte.
Viking kam mit blaubeerjoghurtverschmierter Nase in die Bibliothek getappt. Er stupste Cal mit der Nase an und knurrte sein Knurren.
»Schon gut. Sei nicht so neugierig. Ich zeig’s dir.«
Der Husky setzte sich neben Cal.
»Das hier ist mein Lieblingsbuch. ›The Doctor in High Dudgeon‹.« Cal legte die Mappe vor Viking auf den Boden. »Es ist eine weit in der Zukunft angesiedelte Historie, in der die Richard-Nixon-Gestalt – Dick nennt ihn Abendsen Ferris – eine Kampftruppe zu einem fernen Sternensystem entsendet, nur um jeden einzelnen Mann zu verlieren. Dann läßt er seine Frustration an den Bürgern aus, die gegen dieses Unternehmen protestiert haben, indem er Cyber-Diener für sich und seine kaiserlichen Adjutanten aus ihnen macht. Klingt ein bißchen albern, wenn man es derart zusammenfaßt; das gebe ich zu. Die Sache ist bloß, du darfst nicht vergessen, daß Dick es gleich nach ›Nicholas and the Higs‹ geschrieben hat – aber vor der ’68er Wahl. Und das ist eine ziemlich erstaunliche Leistung, Vike. Das ist nicht bloß vorausschauend, das ist schon eher hellseherisch. Die Folge war, daß Dick das Buch nicht verkaufen konnte. Die Verleger hatten Angst. Sie erkannten, daß es ebenso Satire wie Science Fiction war, ein ätzender Kommentar zu einer komplexen amerikanischen Persönlichkeit. Sie lehnten es ab – wobei sie nicht etwa zugaben, daß sie fürchteten, der neue Präsident werde es mißbilligen, sondern indem sie dem Autor erzählten, ein Roman dieser Art werde die Leserschaft, die ihn als realistischen Sozialkritiker kenne, nur verwirren. Nach dem Debakel mit ›Nicholas and the Higs‹ (sagten ihm die Lektoren bei Hartford & Brice) müsse man sorgsam darauf achten, die letzten Fetzen von Achtbarkeit, die von seiner Reputation noch übrig seien, zu bewahren.«
Viking legte fragend den Kopf schräg.
»Und weißt du, was Dicks Antwort auf dieses lektoriale Gefasel war, mein wölfischer Freund?«
Aufmerksam wartete Viking, bis er es erfuhr.
»Er sagte: ›Das ist Blödsinn, Jungs.‹ Und dann fügte er hinzu: ›Das könnt ihr euch ins zarte Ärschlein schieben. Wer braucht euch ängstliche Establishmentfiguren eigentlich überhaupt?‹ Leider sollte er nur zu bald herausfinden, daß er sie anscheinend brauchte. Niemand sonst wollte ›The Doctor in High
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