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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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anrührte.«
    »Einen Auferstehungskörper?«
    »Scheint so, Ma’am. Jesus aß ja ein bißchen gekochten Fisch vor den Elf in Jerusalem – Geister können das nicht –, und Mr. Kai, na, der hat ein bißchen Automatenkaffee runtergekippt. Nur ein Auferstehungskörper könnte das – so essen und dann zum Himmel abhauen.«
    Es klingt beinahe plausibel, dachte Lia, was Shawanda da redet. Genauso plausibel wie jede andere Erklärung, die wir uns einfallen lassen können.
    »Kai schien mir aber ein ziemlich schäbiger Messias-Ersatz zu sein, Shawanda.«
    »Nach zweitausend Jahren kommt so manches auf ’n Hund. Was kann man erwarten? Mr. Landis, mein Naturkundelehrer, der nannte so was Entropie.«
    »›Die Dinge zerfallen‹«, zitierte Lia. »›Die Mitte hält sie nicht.‹«
    »Da kommt der Taxifahrer zurück«, verkündete Shawanda vom Fenster aus. »Der will sein Geld.«
    Lia ging zum Fenster und sah einen massigen Schwarzen mit einer Taxifahrermütze auf der umbrafarbenen Afro-Frisur, der von seinem Wagen kommend die Straße überquerte und im Parterre-Eingang der Praxis verschwand. Er sah wütend aus. Nun, er hatte ein Recht darauf, wütend zu sein, vermutete Lia. Sie hatten ihn mit einer Stegreifausrede weggeschickt, und dann war Kai verschwunden – verdunstet wie ein Nebelstreif –, und jetzt kam der Taxifahrer zurückgestapft, um seinen Fahrgast und sein Geld zu kassieren.
    »Shawanda, was machen wir?« Beschämt darüber, daß sie sich nach der Anwesenheit und Unterstützung ihres Mannes sehnte, wünschte sie sich doch, Cal wäre hier.
    Der Taxifahrer kam polternd die Holztreppe herauf; zwanzig Sekunden später stieß er die Tür zu Lias Sprechzimmer auf, blieb vor der Schwelle stehen und funkelte die beiden Frauen an.
    »Wo ist er?« fragte er fordernd.
    »Er ist aufgesprungen und rausgerannt«, behauptete Shawanda.
    »Wie kann er das? Ha’m Sie noch ’ne Tür?«
    »Er hat sich verschlichen, ganz einfach. Hat sich einfach rausgeschlichen.«
    »Ich beobachte seit ’ner Ewigkeit Ihren Parterre-Ausgang, und da hab’ ich keine Seele rausflitzen sehen.«
    »Ja, er ist ’n sehr guter Schleicher.« Shawanda stemmte die Hände in die Hüften.
    »So ein betrügerischer Hund!« rief der Fahrer und schleuderte seine Mütze zu Boden. »So ein betrügerischer weißer Schweinehund!«
    Was für ein Schlamassel, dachte Lia. Kai ist verschwunden wie Jesus Christus persönlich, und dieser arme Taxifahrer ist zweihundert Dollar Fahrgeld los. Aber das ist unfair. Es ist eine ungerechte Realität …

 
    6 Die Fahrt von LaGrange nach Pine Mountain, auf dem Highway 27 Richtung Süden, war stets ein halbes Wunder für Cal. Er hatte den größten Teil seines Lebens in den Rockies oder in ihrer Nähe verbracht und dabei jede Menge atemberaubende Landschaften gesehen. Berge, richtige Berge: Zerklüftete Steinhänge mit leuchtenden Schnüren von Wasser, die sich in Kaskaden daran entlangzogen, sich verflechtend und wieder entflechtend. Aber dieses Stück Highway war so nicht. Es raubte einem den Atem nicht, sondern es entzog ihn sanft, wie es das Klavier-Zwischenspiel in dem Beatles-Song ›In My Life‹ auf dem Album Revolver immer tat.
    Hie und da wehte noch immer Nebel über den Highway, aber die Sonne schnitt hindurch. Die Fichten, die in leichten Wellenlinien längs der zweispurigen Straße auf Posten standen, erinnerten Cal an keltische Krieger, grün gewandet, stets wachsam. Und es war die Fahrt durch diese abgenutzte Piedmont-Topographie, was ihn leichter atmen ließ. Mochte sein Dart noch so sehr spucken und tuckern, wenn es bergauf ging.
    An einem solchen Berghang sah Cal einen gnomenhaften Schwarzen, der auf dem oberen Ast einer Fichte am Straßenrand saß und aus den Nebelfetzen zu ihm herabgrinste. Mein Gott, dachte Cal, das ist Horsy Stout – so hieß der Stallknecht, der bei Lias Bruder Jeff auf dem Gestüt, der Brown Thrasher Barony, arbeitete. Weil Stout, ein muskulöser Zwerg um die Fünfzig, keinen rationalen Grund dafür haben konnte, da zu sitzen, wo er saß, starrte Cal ungläubig zu der Erscheinung hinauf.
    Pickford, sagte er sich, du hast Erscheinungen.
    Stouts Grinsen wurde breiter. Er hob die Hand und winkte. Dann verschwand der Zwerg wie Alices Cheshire-Katze, und Cal war davon überzeugt, daß der Märznebel und die beunruhigenden Ereignisse des Vormittags ihn halluzinieren ließen. Wenn er weiter nachdächte über das, was er soeben ›gesehen‹ hatte, würde er verrückt werden, und weil sein

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