Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
Vom Netzwerk:
Umsiedler aus Südostasien und anderswo, wollte ihn in der Hines Street im ›Art, Film, and Photography Salon‹ treffen – lange nach der offiziellen Schließungszeit dort. Was für eine unglaubliche Ehre. Vielleicht wollte sie die FAZ-Anweisung aufheben, derzufolge er sich in der nächsten Woche jeden Abend in Fort Benning zur Reindoktrination einfinden sollte – wodurch er Verdienst einbüßen und vielleicht sogar seinen zweiten Job verlieren würde. Möglicherweise hatte sie von dem Brief erst Wind bekommen, nachdem einer ihrer Mitarbeiter ihn getippt und abgeschickt hatte. Auch wenn sie eine neunfache Berühmtheit war, interessierte sie sich ernsthaft für die Kleinen Leute. Sie scheute keine Mühen, wenn es darum ging, die Fehler übereifriger Amerikulturateure zu korrigieren.
    »Es ist schon fünf nach!« schrie Lone Boy. »Wir haben nur noch zehn Minuten! Wo ist dieser Lahmarsch Fraley?«
    »Hier bin ich, Schlitzauge«, sagte Fraley, der eben eintrat. »Und hier ist ein gottverdammter Vierteldollar.« Er klatschte eine Münze auf die Theke. »Die Bezahlung für fünf Minuten, prozentual hochgerechnet aus unserem Stundenlohn.«
    Lone Boy steckte den Vierteldollar in die Tasche, legte die Schürze ab und kam hinter der Theke hervor, damit Fraley übernehmen konnte. »Du bist vielleicht ein Lahmarsch, aber du bist ein anständiger Lahmarsch.«
    Tuyet begrüßte Fraley eilig und bemühte sich, auch die Zwillinge dazu zu bringen, daß sie Hallo sagten – aber Lone Boy zog sich schon die Jacke über und trieb die drei Frauen zur Tür hinaus und in den Datsun, und dabei dachte er: Zwei Jobs hinter mir, ein Gespräch mit Miss Rinehart vor mir, und noch meilenweit zu fahren, bis ich Schlafengehen kann …
     
    Zwölf Minuten später hielt Loans Familien-Datsun vor dem ›Chattahoochee Valley Art, Film, and Photography Salon‹. Dieses seltsame, nachempfundene Gebäude – mit getönten Fenstern, die zahlreichen Dächer gedeckt mit feingeprägten Blechen – stand am Fuße eines Hügels. Die Betonmauer um den winzigen Vorhof war von Blumenkästen gekrönt.
    Loan zog die Handbremse an, damit der Wagen nicht auf die Eisenbahngleise rollte, die sich schattenhaft an der Ostseite des Salons vorbeizogen. Er mußte gegen die Empfindung ankämpfen, daß das Gebäude – in architektonischer Hinsicht das auffälligste Objekt in der Hines Street – selber im Begriff stand, auf die Schienen zu kippen. Im Salon brannte Licht – kaltes weißes Licht. Lone Boy scheuchte Tuyet und die Zwillinge durch das Eingangstor, die Treppe hinauf, durch die unverschlossene Haustür und in eine der hellerleuchteten Galerien im Erdgeschoß der nischenreichen Halle.
    Warum hat Miss Rinehart mich hergebeten? fragte er sich. Und warum zu dieser Stunde? Aber das ist leicht: Weil ich nämlich zu fast jeder anderen Stunde entweder arbeite oder schlafe. Sie bemüht sich, nicht rücksichtslos zu sein. Aber was sie der Freundlichkeit opfert, bekommt sie an Mysteriösität zurück.
    Sie waren in einer Galerie, die der amerikanischen Populärkultur gewidmet war. Coca Cola-Schilder, Serviertabletts, Zeitschriftenanzeigen. Filmplakate aus sechs Jahrzehnten. Eine Vitrine voller Gürtelschnallen, manche geformt wie Crossrennautos, andere wie bockende Wildpferde oder springende Forellen. Eine bestand aus einem messingnen Schriftzug: BORN AGAIN – »Wiedergeboren«. Ein Ständer mit Baseballschlägern; ein Ständer mit Schrotflinten und Gewehren; ein Schaukasten mit Titelbildern des TV Guide; ein Diorama mit Ereignissen – dargestellt mit Hilfe von winzigen, gutgekleideten Puppen – aus der Präsidentschaft Richard Milrose Nixons.
    Triny und Tracy drückten sich die Nasen an dem Diorama platt. Die sinnreich gefertigten Miniaturen des Präsidenten und anderer Führer der Welt hatten sie in ihren Bann geschlagen.
    Auch Lone Boy schaute hin.
    Hier war eine muntere Richard-Nixon-Puppe im Gespräch mit einer korpulenten Mao-Zedong-Puppe in Beijing. Hier war ein liebenswürdiger Nixon, wie er in Moskau einen bärenhaften Leonid Breschnew umarmte. Hier war eine finstere Henry-Kissinger-Puppe, die den Vorsitz bei einem Kriegsverbrecherprozeß gegen nordvietnamesische Offiziere und Parteifunktionäre führte, kleine Galgenvogel-Männchen in khakifarbenen Gefängnisuniformen. Hier drüben war ein trauriges Jimmy-Carter-Bildnis, welches dem Gegner in den ’76er-Präsidentschaftswahlen seine Niederlage eingestand. (Die Carter-Figur war irgendwie ein Schlag für den

Weitere Kostenlose Bücher