Dieser Mann ist leider tot
hinauf – na schön, hinunter starrte. Gleich würde sie – sofern er sich nicht in die Hose pinkelte oder aus einer Mischung von Verlegenheit und Ekel kotzte – aufstehen und vor der Menge ihre Männlichkeit entblößen.
Mein Gott, ein Hermaphrodit, dachte er. Meine Schwiegermama ist ein Hermaphrodit.
Aber sie steht nicht auf und öffnet ihr Nachthemd. Sie klopft noch mehr Schnupftabak aus dem Döschen, schnorchelt ihn geräuschvoll auf, putzt sich die Nase mit einem gestickten Taschentuch, klopft neues Pulver hervor, schnupft, und so weiter. Vielleicht ist sie doch kein Hermaphrodit, denkt Cal, aber süchtig ist sie jedenfalls. Eine Kettenschnupferin. Er sieht Miss Emily bei ihrem furiosen Kettenschnupfen zu, wie sie den Tabakstaub schneller reinzieht als jeder Cowboy, und er hat mehr und mehr Mühe, nicht zu niesen. Schließlich niest er doch.
Kah-TSCHUUUF!
»Machen Sie die Tür zu!« befiehlt Emily ihm. »Wenn die Nachtschwester Wind kriegt, ist sie im Handumdrehen hier.«
Cal schließt die Tür und wischt sich die Nase mit dem Ärmel ab. Die Stimme von Lias Mama ist wie die von einem Mann, wie von dem Mann, der Lias Kassettenrecorder mit Geschichten über Stereographie und der Notwendigkeit einer Anamnese gesegnet hat.
»Verdammt!« ruft die Person im Bett. »Dieser Mist ist nicht einen verdammten Deut besser als Kaffee!«
»Ich bitte um Verzeihung?«
Der Schleier über Miss Emilys Gesicht antwortet: »›Ich bitte um Verzeihung.‹ Gott, was für ein Ausdruck.« Neuerliches Schnupfen. »Ich sage bloß, daß dieser lausige Schnüffelstaub mich wahrscheinlich auch nicht besser auf dem Planeten festhält, als der Kaffee Ihrer Frau es konnte.«
»Der war auch entkoffeiniert.«
»Ja, ja. Aber nicht mal unverfälschter ›Maxwell House‹ schafft es. Und das hier klappt auch nicht.«
»Philip K. Dick«, sagt Cal. »Lia hat mir gesagt, daß Sie sie heute morgen besucht hätten. Sie sind tatsächlich – ich meine, tatsächlich – Philip K. Dick.« (Selbst wenn Sie auf mysteriöse Weise den Körper von Lias Mutter usurpiert haben.)
»Sagt mir nichts«, antwortete der Schleier. »Sie könnten mir erzählen, ich sei jemand Berühmtes – Einstein zum Beispiel –, aber wenn ich wirklich jemand Berühmtes wäre, dann wüßte ich es schon, und da ich es nicht weiß, kann ich es nicht sein. Philip K. Dick ist daher eine Nichtexistenz …«
»Nein!«
»… oder ein Mann von so beschränkter Bekanntheit, daß siebenundneunzig von hundert Amerikanern noch nie von ihm gehört haben dürften.« Schnauf-schnüffel-schnauf. »Verdammt!« Ein machtvoller Nieser. »’tschuldigung. Wie der x-millionste Kunde bei McDonald’s oder der erste Vietnamese, der eine Argyle-Socken-Strickerei eröffnet.«
»Aber Sie sind ein …«
»Puuh-pah. Ich bin weg. Es klappt nicht. Ich habe aus zwei Gründen ein Opfer der Vergreisung aufs Korn genommen. Erstens, um mir den Übernahmeversuch zu erleichtern. Und zweitens, um auf Sie zu treffen, Mr. Pickford.«
»Aber warum?«
Die Philip-K.-Dick-Aura um den Körper von Lias Mama bebt, erhellt sich, wird trübe. »Wenn ich mich nicht so verdammt angestrengt bemühen würde, mit Ihnen zu reden, könnte es glatt Spaß machen, auf diese Art aus dem Leim zu gehen. Es ist meine geheime Liebe zum Chaos, die mich bei der Plünderung der Entropie erregt. Aber meine Liebe zur Gerechtigkeit bringt mich dazu, mich schreiend und strampelnd dagegen zu wehren.«
Für einen Moment werden die Wände durchsichtig; Cal kann durch sie hindurch in den kalten Märzabend schauen. Die Deckenlampen werden trüb, als Dicks Aura trüb wird. Als die Aura pulsierend zurückkommt, kommt das Licht ebenfalls. »Ich bin zu Ihnen gekommen, weil Sie mein Leitstrahl sind. Etwas, das ich anpeilen kann, ein Blinklicht im Ektoplasma, in dem ich beständig treibe und in das ich dann zurückspringe. Pickford, Sie wissen besser als ich, warum ich Sie ausgesucht habe.«
Den Teufel weiß ich, denkt Cal, als Miss Emily aus den wäßrigen Folienschichten auftaucht. Er hat keine Ahnung, was er sagen, wonach er fragen soll.
»Wachen und warten Sie«, krächzt die Dick-Stimme. »Ich werde versuchen zu helfen.«
Emily Bonner richtete sich aus der Phil-Dick-Aura auf und stieß die Dose mit ›Dean Swift’s‹-Schnupftabak auf den Boden. Schleier von Stäubchen wirbelten in bernsteinfarbener Zeitlupe um sie herum. Cal hob hastig die Dose auf und wischte die verräterischen paprikafarbenen Flecken von der
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