Dieser Mann ist leider tot

Stolz der einheimischen Georgianer.) Hier vorn war der neue Schah des Iran, der von Vizepräsident Westmoreland eine Lieferung Kampfflugzeuge und Panzer in Empfang nahm, im Diorama dargestellt durch kleine Metallspielzeuge …
    »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Loan«, sagte eine Frauenstimme, und als er sich umdrehte, sah er sich einer Frau in einem schwarzen Cape, Sonnenbrille und roter Reithose gegenüber. »Es ist nett, daß Sie nach der Arbeit noch herkommen, um mit mir zu sprechen.« Sie nickte Tuyet und den Mädchen zu. Anscheinend war sie soeben die breite Treppe heruntergekommen, die im Bogen zum ersten Stock hinaufführte.
    »Miss Rinehart?« Lone Boy war mißtrauisch.
    »Sie erkennen mich nicht? Na, ich bin froh, daß Sie Zweifel hegen.« Sie nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie ein. Dann schälte sie ihre Unterlippe ab, und zum Vorschein kam eine sehr viel vertrautere Unterlippe. Sie nahm die Perücke ab und schüttelte ihr eigenes Haar, eine rotbraune Kaskade im Gegensatz zur brünetten Ordentlichkeit des Haarteils. Sie warf die Perücke zu Boden. »Ich hoffe, ich habe die Kinder nicht erschreckt«, sagte sie. »Es ist nur so, daß ich ohne ein paar dramatische Vorsichtsmaßnahmen nicht frei durch die Stadt gehen kann.« Sie lächelte. »Einmal Schauspielerin, immer Schauspielerin, vermute ich. Und bitte nennen Sie mich Miss Grace.«
    »Ich brauche nicht reindoktriniert zu werden«, erklärte Lone Boy.
    »Wir fangen gerade an, voranzukommen«, fügte Tuyet hinzu, und Loan war ihr dankbar für diesen Hinweis. Echte Amerikaner hatten Erfolg, und er und Tuyet mühten sich nach Kräften, über die Barrieren zu kommen, die sie auf die untere Mittelklasse beschränkten. Wenn er seinen Job im ›Save-Our-Way‹ verlöre, um mehrere Abende lang im Freiheitszentrum in Fort Benning re- amerikulturiert zu werden, dann würden sie in ihrem täglichen Streben nach einem vererbbaren Vermögen an Boden verlieren.
    »Darüber will ich mit Ihnen sprechen, Loan.« Sie wandte sich an Tuyet. »Oben werden Sie und die Kinder einen Tisch mit diversen Erfrischungen finden. Nachher können Sie sich in unserem Kinoraum das Nonstop-Programm mit Schweinchen Dick anschauen. Okay?«
    Obgleich Tuyet offensichtlich nicht erpicht darauf war, Folge zu leisten, dankte sie Miss Grace und ging mit den Zwillingen nach oben. Daraufhin führte die Schauspielerin Lone Boy in eine Galerie mit einem modernen Sofa, einem gläsernen Couchtisch und Dutzenden von objets d’art – Mobiles, wie er vermutete –, die an Drähten von der Decke hingen. Lone Boy setzte sich, und auf den Couchtisch legte er den Beutel, den er unabsichtlich aus dem Auto mit hereingebracht hatte.
    Miss Grace ließ sich in einigem Abstand vom Sofa in einen qualvoll modernen Sessel sinken. Die berühmte Unterlippe der Frau – der Schmollmund, der eintausend B-52 hatte in die Luft gehen lassen – sah matt und wund aus, aber sie hatte sie ja auch den ganzen Tag unter einer Haut aus geformtem Gummi versteckt.
    »Wir haben uns vor vier Jahren zuletzt gesehen, nicht wahr? Als ich Ihnen die FAZ-Befreiungsbescheinigung gab.«
    »Aber ich habe Sie seitdem schon Dutzende von Malen gesehen, Miss Grace. Im Fernsehen. Im Kino. Ich habe gesehen, wie der Präsident Ihnen die Freiheitsmedaille verlieh, zusammen mit Clint Eastwood, dem Baseball-Beauftragten Agnew, dem Country&Western-Troubadour Berle Haggard und dem herrlichen Spionagethriller-Autor E. Howard Hurt. Und die Fortsetzung der ›Green Berets – Ho’s Kerlen auf der Spur‹ –, bei der Sie Regie führten und die Hauptrolle spielten … mein Gott, Miss Grace, den muß ich mindestens fünfmal gesehen haben!«
    Die Schauspielerin starrte – verlegen? – zu Boden und sagte dann: »Ich wußte von dem Brief, den die Verwaltung des FAZ/SO Ihnen geschickt hat, Loan, und ich war einverstanden.«
    »Sie waren einverstanden? Warum? Ich bin voll amerikulturiert. Ich kann cool quatschen, ich kann …«
    »Bitte, Loan.«
    »Aber ich kann es, Miss. Ich kann Ihnen die Durchschnittszahlen sämtlicher Schlagchampions der Oberliga seit 1945 nennen. Ich weiß die Geburtstage von Präsident Nixons Enkelkindern auswendig. Ich kann Ronald Reagans prachtvolle Schmährede gegen die diskreditierten liberalen Medien aus dem Gedächtnis aufsagen, die er hielt, als er die CBS-Abendnachrichten von Walter Cronkite übernahm. Ich kann Ihnen alles über die Erfinder des Bubblegum erzählen, des Mikrowellenherdes und der revolutionären Prozesse der