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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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zaghafter Sorge neben der erschöpften Tuyet lag, bemühte Lone Boy sich nach Leibeskräften, zu vergessen, daß es noch eine andere Bezeichnung für ›inländische Spione‹ gab: No Knocks – Klopfnichts.

 
    9 Augustus ›Gus‹ Kemmings hatte eine seltsame Nacht hinter sich. Nur mit großer Mühe hatte er Schlaf gefunden. Zum Glück lebte er allein und konnte mit seinen schlaflosen Wanderungen durch das Haus niemanden stören. Seine Frau war gestorben – ein Jahr nachdem er als Geschäftsführer des ›Happy Puppy Pet Emporium‹ angefangen hatte, und jetzt erschien ihm das kleine Ziegelhaus, in dem sie beide gewohnt hatten, so groß wie ein halbleeres Museum.
    Es ist eine Art Museum, sinnierte Gus, als er in Bademantel und Pantoffeln im Wohnzimmer stand. Neben ihm an der Wand hing, wie in fast allen Zimmern des Hauses, ein gerahmtes Musterstück der Argyle-Socken, die seine Arbeiter in seiner Strickerei in Pine Mountain auf seinen speziellen Strumpfwebstühlen gefertigt hatten. Auch lagen Stapel von gefalteten Argyle-Socken in jeder Kommode im ganzen Haus.
    Mrs. K. hatte nie etwas dagegen gehabt. Im Gegenteil, Vera war es gewesen, die darauf bestanden hatte, das Haus in LaGrange in ein bescheidenes Denkmal für Gus’ frühere Tätigkeit zu verwandeln. Ihr Leben lang hatte sie unter Kreislaufstörungen gelitten. Gus würde niemals die Flitterwochen vergessen, als sie ihn das erstemal mit ihren nackten Füßen berührt hatte. Was für ein Schock. Danach hatte sie sich angewöhnt, im Bett seine Socken zu tragen.
    »Vera«, sagte Gus laut. Vielleicht hätte ich schlafen können, wenn du neben mir gelegen und mir mit diesen flauschigen Argyles an den Beinen auf und ab gestrichen hättest. Vielleicht.
    Gleich nach The Sinatra Hour war Gus zu Bett gegangen. Dann hatte er wachgelegen und sich Sorgen gemacht, über Cal Pickford, über Cals Trauer über den Tod dieses Schriftstellers Phil Craddock und über die zornige Art, in der Cal sich geweigert hatte, ein Pärchen Breschnew-Bären anzunehmen.
    Es war ein spontanes Angebot, grübelte Gus. Ein gutgemeintes Angebot. Aber – mein lieber Schwan – wie der Junge über dich hergefallen ist. Die Trauer muß ihn verzehrt haben. Na, du weißt ja, was er empfunden hat, nicht wahr, Augustus? Es ist nicht gar so lange her, daß du die gleichen Empfindungen durchgemacht hast. Du hast sie schon ein paarmal durchgemacht.
    Sein Sohn Keith war 1965 im Dschungel bei Pleiku gefallen, zusammen mit dreihundert anderen Jungs aus seiner Luftlandedivision. Sieben Jahre später war Kirsten, zahllosen Warnungen zum Trotz, zum Republikanischen Nationalkongreß nach Kansas City gereist, um gegen Nixons Vietnampolitik zu protestieren. Sie kam nicht wieder nach Hause. Ja, sie verschwand einfach. Ohne Nachsendeanschrift. Ohne Abschiedsanruf. Ohne irgendeine Mitteilung von Freunden, Feinden oder der Polizei. Und – beunruhigenderweise – auch kein Leichnam. Ihren Heldensohn hatten Vera und er nach dieser Geschichte in Ia Drang doch wenigstens begraben können.
    Kirsten dagegen wurde von den zuständigen Behörden als ›Entlaufene‹ ad acta gelegt. Eine zweiundzwanzigjährige Entlaufene. Ebensogut könnte man eine Zwölfjährige als ›Kleinkind‹ bezeichnen, hatte Gus gegrollt, aber als seine und Veras Erkundigungen und Beschwerden nichts weiter erbracht hatten als den Besuch zweier Klopfnichts, die ihnen geraten hatten, sich zu beruhigen – »Sie gefährden die Kriegsanstrengungen« –, hatten sich die rot-weiß-blau gefärbten Kemmings sich beruhigt und guten Glaubens die Behauptung der Klopfnichts akzeptiert, Kirsten habe sich in den Untergrund begeben, um der Verfolgung und Inhaftierung zu entgehen; infolge dessen sei sie eine ›Entlaufene‹. Überdies: Wollte man weiterhin öffentlich seine Bauchschmerzen wegen ihres Verschwindens beklagen, könnte dies das FBI in Versuchung führen, sie als ›Flüchtig vor dem Gesetz‹ zu reklassifizieren und diese Neuigkeit zu verbreiten, um das unpatriotische Genörgel der Kemmings auszugleichen.
    Nicht ganz zehn Jahre später war Kirsten immer noch nicht wieder nach Hause gekommen, wo immer sie sich aufhalten mochte. Keith lag neben Vera auf dem kleinen Friedhof in Pine Mountain, und das kleine Ziegelhaus der Kemmings neben dem Komplex der ›Callaway Educational Association‹ in LaGrange war eine private Gedenkstätte für die Fabrikation von Socken und eine bunt zusammengewürfelte Menagerie verschiedener Tiere aus dem Geschäft:

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