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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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zu Lia gekommen, weil sie das Gefühl habe, sie beginne allmählich aus dem Leben zu verschwinden und hinterlasse vielleicht fünfzehn halbwegs anständige Filme und die landesweite Kette der Freiheitlichen Amerikulturationszentren, die ihr die Freiheitsmedaille eingetragen hätten. Diese Dinge seien ihr Geschenk an die Nachwelt, sie selbst aber werde durchscheinend, und das mache ihr Angst. Es sei wahrscheinlich die Angst vor dem Altern, was ihren Visionen, sich in Dunst oder Wind zu verwandeln, zugrundeliege, aber dieses Wissen vertreibe die Angst nicht, und sie frage sich, wie sie sich wieder selbst real machen könne.
    Lia begriff, daß sie mitten in einer Sitzung waren, daß dies der Teil ihres Tages war, für den Grace Rinehart sie ausdrücklich engagiert hatte; also legte sie ihr Hühnersalat-Sandwich aus der Hand, nahm einen Block heraus und begann, sich Notizen zu machen. Ein Tonbandgerät wäre eine echte Hilfe gewesen, aber Lia wollte den Vortragsstrom ihrer Klientin nicht unterbrechen, um nach einem zu fragen.
    Diese Sache mit dem Verschwinden – Verblassen – versetzte Lia einen jähen Schock des Wiedererkennens. Grace Rinehart fürchtete einem Geistzustand zu erliegen, der ein – metaphorisches – Spiegelbild des physischen Verblassens war, dem Kai – Philip K. Dick – kürzlich erlegen war. Sie hatte Angst, zu verschwinden. Zufall? Oder Synchronizität? Und (und dies fand Lia beinahe ebenso beunruhigend wie die Analogie zwischen Grace und Kai) am Ende von Dicks Roman ›The Dream Impeachment of Harper Mocton‹ wurde der Titelheld symbolisch dematerialisiert. Was war hier los? Konnte nichts diese unglücklichen Menschen auf dem Planeten festhalten?
    »Kaffee?« fragte Grace Rinehart.
    »Kaffee hilft auch nicht«, sagte Lia.
    »Wie bitte?«
    »Nein, danke. Mehr wollte ich nicht sagen. Ich vertrage ihn sowieso nur, wenn er entkoffeiniert ist.«
    »Wir haben bestimmt irgendwo entkoffeinierten.«
    »Nein, schon gut. Ich brauche keinen.« Jeena, die Haushälterin-Köchin, kam vorbei, um ihr Limonadenglas aufzufüllen.
    Noch bevor Jeena den Wintergarten wieder verlassen hatte, gestand Grace, daß Hiram, ihr dritter Ehemann, wahrscheinlich nicht ahne, wie entwurzelt und unsicher sie sich in letzter Zeit fühle. Ihre ersten beiden Ehemänner waren Schauspieler gewesen, unreife Kerle mit Korsarenprofil und rasender Libido – verdammt, aber sie hatte den gleichen Fehler zweimal begangen –, und beide hatten angefangen, sie zu betrügen, weil ihre eigene Karriere in schauspielerischer Eselsarbeit untergegangen war – eine Nebenrolle in einer blöden Polizeiserie fürs Fernsehen, ein Bauernfänger für Aspirintabletten. Ihre Karriere war unterdessen wie eine Schwertransportrakete steil in den Himmel gestiegen. Tweedledum und Tweedledee – es war schwer, sich zu erinnern, wer der Cop und wer der Werbeknilch gewesen war – hatten die Schrammen an ihrem männlichen Ego nur wegstecken können, indem sie jedes langbeinige Starlet gevögelt hatten, das ihnen über den Weg gelaufen war. Und so waren diese ›Ehen‹ – ha! – schließlich vor dem Scheidungsrichter verpufft.
    Hiram indessen war so zuverlässig, treu wie der Sonnenaufgang/Sonnenuntergang. Wenn er einen Fehler hatte – dann war es seine Arbeit. Daher seine Ahnungslosigkeit hinsichtlich ihrer – na, wie sollte man es nennen? –: ›Midlife Crisis‹? Das war heutzutage die populäre Terminologie, nicht wahr? Wie auch immer – Hiram war stets damit beschäftigt, mit Weizenfarmern, Milchbauern, Herstellern von landwirtschaftlichen Geräten, Lobbyisten der Agrarbranche und so weiter zu reden. Unablässig rackerte er für Getreidelieferungen nach Afrika und in die Sowjetunion, niedrigere Zinsraten für Landwirtschaftskredite und die Höhe des Bundeshöchstpreises für Rind-, Hammel- und Schweinefleisch.
    Lia lauschte der Synopse von Hiram Berthelots Karriere mit echtem Mitgefühl – teils weil sogar Cal ihn mochte. Ja, Cal und Arvill Rudd hielten Berthelot für das aufrechteste Mitglied in Nixons Kabinett der dritten und vierten Amtsperiode. Wer sonst, erklärten sie, hatte den Mumm gehabt, King Richard ins Gesicht zu sagen, daß die Preisobergrenze für Rindfleisch, die er 1973 festgesetzt hatte, eine monströse Katastrophe für die Rindfleischindustrie und nur ein befristeter Bonus für den amerikanischen Verbraucher gewesen war? Aber genau das hatte Berthelot gesagt, und es gab einige Hinweise darauf, daß Nixon auf seine Worte gehört

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