Dieser Mann ist leider tot
Abfahrt – einen langgezogenen Kiesweg, der bergauf durch Wiesen von feuchtem Frühlingsgras führt – zu dem neuzeitlichen Lehnsgut namens Berthelot Acres. Hier wohnt Grace Rinehart mit ihrem Mann (wenn der Minister aus Washington herkommen kann), und hier versuchen sie, ein normales Leben zu führen, trotz ihres Status’ als Starpolitiker und berühmte Aktivistin und Schauspielerin. Aber zwei vierschrötige Geheimdienstmänner bewachen die Einfahrt zum Haus. Und das Anwesen ist so groß, daß es, wollte man es irgendwohin nach Europa versetzen, in die Gegend von Monaco oder Luxemburg etwa, für die Mitgliedschaft in der UNO qualifiziert wäre.
Lia kommt es so vor, als glitten sie ewig die Zufahrt hinauf; zu beiden Seiten grasen imposante Exemplare einer rötlichen Rinderart. Die Tiere haben die Eleganz und die Farbe wohlgepflegter Irischer Setter. Grace teilt Lia mit, daß es sich um Santa-Gertrudis-Rinder handelt, zuerst gezüchtet auf der King Ranch in Texas in einer komplizierten Serie von Kreuzungen zwischen Kurzhorn- und Brahmanrindern, und daß Hiram hier auf Berthelot Acres mehr als tausend Stück davon hat. Lia bestaunt die sauberen hölzernen Zuchtgatter, die wie ein Gitter die wellige Wiese zur Rechten überziehen, und auch die Zahl der strotzenden roten Tiere, die an den Rasenflächen zwischen den rechteckigen Pferchen knabbern.
»Cal wäre hingerissen«, sagte sie zu Grace.
»Ihr Mann arbeitet vielleicht in einer Tierhandlung, aber er hat immer noch Schwielen an den Händen und ein unverwechselbares Cowboy-Blinzeln.«
»Sie waren verkleidet. Sie haben ein Paar Breschnew-Bären gekauft.«
»Mmmm.«
»Warum haben Sie das getan? Sie haben gesagt, sie sollten Ihnen Gesellschaft leisten, aber Sie brauchen sich ja kaum Breschnew-Bären zu kaufen, und …«
»Kaum.«
»… und Sie haben Cal eine Todesangst eingejagt. Er wußte nicht gleich, wer Sie waren, aber er befürchtete, Sie wollten ihn kontrollieren, bespitzeln.«
»Hat Ihr Mann denn etwas zu verbergen?«
Die Frage läßt Lia frösteln. Worauf habe ich mich hier eingelassen, daß ich jetzt mit dieser Zelotin der Nixon-Regierung durch die Gegend fahre? Verrate ich Cal, indem ich hier bin? Nein, nein. Er hat mir selbst gesagt, Kai will, daß wir Risiken eingehen, daß wir Gelegenheiten ergreifen, die uns auf den ersten Blick – nun, sagen wir: abstoßend erscheinen.
»Ich bin sicher, er hat nicht mehr zu verbergen als die meisten von uns«, sagt Grace, bevor Lia eine Antwort hervorbringen kann. »Diese Meerschweinchen waren ein Geschenk für die Kinder einer Freundin von mir; aber ich habe geflunkert – eine Notlüge gebraucht –, um … äh … meine Tarnung nicht auffliegen zu lassen.« Sie lacht leise über diesen Ausdruck. »Ich kann nicht in eigener Gestalt ausgehen, ohne bemerkt zu werden, Lia, und ich habe das Aufsehen allmählich satt. Deshalb greife ich manchmal zu melodramatischen Listen. Es tut mir schrecklich leid, wenn ich Ihrem Mann einen unangenehmen Augenblick verschafft habe.«
»Ein paar unangenehme Augenblicke.«
»Er sehnt sich doch nicht insgeheim nach Herbert Humphrey oder Jimmy Carter, oder? Ich würde nicht mehr so viel von ihm halten, wenn er es täte.«
»Es ist nicht illegal, der loyalen Opposition zuzuneigen.«
»Zuneigung ist in Ordnung. Aufrührerischer Groll ist etwas anderes.«
Damit war das Gespräch beendet. Der Cadillac erreichte den Gipfel eines mit Gras und Lilien bewachsenen, von einem Eichenhain gekrönten Hügels, und Lia warf den ersten Blick auf die Villa Berthelot, ein Vorkriegshaus mit Portikus, kanellierten weißen Säulen und mindestens sechs turmhohen Ziegelkaminen. Ein gargantuarischer Wintergarten, lauter Glas und Hängepflanzen und schmiedeeiserne Möbel und skulpturbestandene Springbrunnen – wuchs an der Nordseite aus der Villa Berthelot, und eine kleine Armee von Pfauen marschierte auf dem diesseitigen Paradefeld wie eine verstreute Exerziereinheit ohne Ausbilder, der das Umherstolzieren koordinierte.
Grace machte Lia mit den Geheimdienstmännern – Vietnamkriegsveteranen, die ihnen in einem Fahrzeug, das aussah wie ein gepanzertes Golfwägelchen, zum Haus hinauf gefolgt waren – und, als sie drinnen waren, mit einer schwarzen Haushälterin bekannt, die ihnen im Wintergarten den Tisch deckte und ihnen Limonade, dazu köstlich gezwiebelte Hühnersalat-Sandwiches mit Gurkenscheiben und Kartoffelchips servierte.
Bei diesem Essen begann Miss Rinehart zu reden. Sie sagte, sie sei
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