Dieser Mann ist leider tot
Ruhe. Sie brauchen keine Isolationszelle mit Ihrem Namensschild an der Tür.«
»Ist das eine Isolationszelle?« Lia wies auf ihr Sprechzimmer. »Eine mittelalterliche Folterkammer?«
»Das sind meine Bedingungen. Daß wir uns an ruhigen Orten außerhalb Ihres Büros treffen. Und daß Sie jede Woche einen vollen Tag für meine Sitzung reservieren. Auch wenn sie nicht länger als eine Stunde dauert.«
Lia fühlte sich schikaniert und verletzt. Daß eine andere Frau diesen Egotrip entwickelte und verlangte, daß sie dabei an Bord sei, ärgerte sie noch mehr als die ›Bedingungen‹ selbst. Man ließ sich einfach nichts von einem Klienten diktieren. Außerdem war es ärgerlich, daß Grace Rinehart zwar dachte, eine Frau sei zu größerer Empathie fähig als ein ›Rollkragenpullover‹, gleichzeitig aber keine Bedenken hatte, eine Geschlechtsgenossin herumzuschubsen, um Zugang zu dieser Empathie zu bekommen. Ihr Denken hatte etwas Raubtierhaftes. Ein Leben in Prominenz und Privilegien war zweifellos der Grund dafür.
»Nun?« fragte die Schauspielerin.
»Machen wir den Mittwoch zu unserem Tag«, antwortete Lia; sie haßte sich wegen der Kapitulation, freute sich aber zugleich auf das Geld, das sie verdienen würde, und auf den Einblick in die Köpfe der Reichen und Mächtigen, den sie zweifellos gewinnen würde. Außerdem war der Mittwoch schon seit ihrer ersten Woche in Warm Springs immer ihr ruhigster Tag gewesen. Shawanda ist erstaunt, als Lia den Mantel überzieht und mit Grace Rinehart die Treppe hinunterpoltert – aber sie ist kaum erstaunter als Lia selbst. Eine Stunde vor Mittag, und sie begibt sich auf eine verrückte Spritztour mit der Gattin des Landwirtschaftsministers, einer Frau, die heute ebenso dafür bekannt ist, daß sie Ho-Tschi-Minh-Fans in wütende Kapitalisten verwandelt, wie dafür, daß sie ein neues Bild der Südstaaten-Frauenschaft – selbständig, clever und schön – auf die Kinoleinwand gebracht hat.
Freilich hat Grace seit drei Jahren keinen neuen Film gedreht, und ihr weit verbreitetes Bild als Ideologin und eifernde Verfechterin konservativer Ideale hat inzwischen ihren Ruf als Filmschauspielerin verwässert. Selbst auf dem Zenit ihres Ruhms in Hollywood – in den entscheidenden Jahren des Vietnamkonflikts – hatten viele Leute in der Filmindustrie größeren Respekt vor ihren politischen Beziehungen als vor ihren schauspielerischen Fähigkeiten, und die meisten sind sich darin einig, daß sie Jane Fondas Karriere ruiniert hat, noch bevor deren ausdrückliche Unterstützung für Ho Tschi Minhs Bande in ihrem Verschwinden gipfelte. Grace hat auch viel dazu beigetragen, Paul Newman wieder an den Broadway zurückzuschicken, wo er sich als halbwegs obskurer Darsteller abgerackert hat, bis er die Rolle des versoffenen Ex-Astronauten in ›Terms of Endearment‹ landen konnte und schließlich einen Oscar gewann.
So oder so hat Grace in den siebziger Jahren spürbaren Einfluß gehabt, als Patriotin ebenso wie als Thespierin, und Lia fragt sich, ob sie es wohl bereut, daß sie das eine mit dem anderen vermischt hat. 1978 hat sie Hiram Berthelot geheiratet, einen Mann aus Georgia, dessen Großvater ein Vermögen mit Textilien gemacht hat, und diese Ehe hat sich nach und nach – was unvermeidlich war – aus den Verknüpfungen mit der Filmindustrie gelöst. Lia ist sicher, daß die Auflösung dieses identitätsstiftenden Knotens schließlich bewirkt hat, daß ihre Klientin nun aus den Fugen gerät.
»Wohin?« fragt Lia. Sie sitzen nebeneinander vorn in Miss Rineharts Cadillac und rollen gemächlich mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der schmalen, zweispurigen Straße zur Stadt hinaus. Woodbury – Berthelot Acres – muß ihr Ziel sein, sagt sich Lia, aber sie findet es immer noch leicht, sich zwischen den kiefernbestandenen Hügeln zu verirren, deren Auf und Ab an die winzigen Gemeinden, dicht an dicht am Südrand der Piedmont-Platte, grenzt.
»Entspannen Sie sich und genießen Sie die Fahrt«, sagt die Schauspielerin; ihre Augen sind verborgen hinter einer verspiegelten Sonnenbrille, die in krassem Gegensatz zu ihrer Kleidung steht.
Der Fleetwood trägt sie mühelos durch das ergrünende Land – vorbei an Feldern voller Klee oder verrosteter Autos, Eisenbahnböschungen, dicht von frischem Kudzu bewachsen, und einem transportablen Wegweiser, auf den jemand die dreifache Botschaft WILDVERARBEITUNG / SPECK / JESUS ERLÖST DICH geschrieben hat.
Endlich erreichen sie die
Weitere Kostenlose Bücher