Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
spenden. Zum Beispiel bei den Korinthern, wo sinngemäß steht, dass Schicksalsschläge so was wie Prüfungen sind, die Gott uns auferlegt. Und dass er die Menschen auf diese Prüfungen vorbereitet, indem er uns die Kraft gibt, sie auch zu bestehen.
Wäre das nicht passiert, wäre ich sicher ein anderer Mensch geworden. Nicht so ängstlich, sondern selbstbewusst mit voller Kraft voraus. Wie jemand, der mit zweihundert Sachen auf der Autobahn fährt und sich überhaupt nicht vorstellen kann, dass das auch schiefgehen könnte. Vielleicht habe ich mir deswegen auch einen Beruf gesucht, bei dem nicht viel passieren kann. Eigentlich wollte ich Rennfahrer oder Pilot werden. Einen Beruf ergreifen, von dem jeder Junge träumt. Aber dazu hatte ich dann nicht mehr das nötige Selbstbewusstsein. Zumindest bilde ich mir ein, dass das etwas mit dem Ereignis aus meiner Kindheit zu tun hat. Ich habe jetzt auch nicht all die Jahre dagesessen und gejammert, und es kann ja auch sein, dass ich auch ohne Annas Tod im Nebenbett kein Rennfahrer geworden wäre. Aber ich denke schon immer wieder über diese Zufall-oder-Schicksal-Frage nach. Und dann denke ich mir: Was haben alle diese Leute, denen in ihrer Kindheit oder auch in ihrem späteren Leben nichts Besonderes passiert, für ein Glück. Die wissen es nur nicht. Ich kann jedenfalls sagen, dass diese eine Nacht bestimmend war für den Rest meines Lebens. Vielleicht hätte ich Kinder haben wollen, wäre das nicht passiert. So aber hatte ich viel zu viel Angst, dass ich sie abends ins Bett bringe, ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte vorlese und sie am nächsten Morgen tot im Bett finde. Diese Angst konnte ich nie überwinden, obwohl ich weiß, wie unwahrscheinlich das ist.
Statt Rennfahrer bin ich Fluglotse geworden. Das ist auch ein guter Beruf, er macht mir Spaß. Vor einem halben Jahr bekam ich eine Grippe mit Gliederschmerzen. Zu harmlos, um zum Arzt zu gehen, dachte ich. Drei Tage später klappte ich während eines Manövers am Flughafen zusammen. Jetzt habe ich nicht mehr lange zu leben. Seitdem ich das weiß, lese ich wieder mehr in der Bibel und nehme diese Nachricht als Prüfung Gottes, die ich zu bestehen habe.
Dawid Piecek, 62 Jahre
verstorben im August 201*
Jetzt die Flügel hängen zu lassen, d as wäre nicht mei ne Art
Ich bin ein unruhiger Mensch. Immer muss ich etwas tun, mich ständig betätigen. In der Kultur und im sozialen Bereich. Als Kind faszinierten mich der Tanz und die Welt des Theaters. Wenn ich Balletttänze improvisierte, war ich glücklich. Dann war ich nur mit mir und konnte all das sagen, was ich fühlte und wie es in mir aussah. Eine schöne Sache, die Befriedigung gibt. Auch heute noch habe ich diesen Bewegungsdrang, um zu sagen, was ich fühle. Zwar kann ich mich nich t mehr so wie frühe r bewegen, aber das ist auch gar nicht nötig.
Wichtig war mir, nie Probleme in mich reinzufressen, sondern sie anzupacken und zu bewerkstelligen. Insofern hat es für mich nie Probleme gegeben, alle haben sich immer irgendwie lösen lassen. Nicht immer auf die Weise, wie ich es wollte, aber auf einem anderen Weg, der auch nicht zum Schaden war. Als ich wegen meiner Füße mit dem Tanzen aufhören musste, habe ich eben ein bisschen im Schauspiel weitergemacht. Und als ich diese Beschäftigung wegen des Krieges abbrechen musste, dachte ich, jetzt musst du etwas völlig anderes machen, und fing an, in einem Verlag zu arbeiten, auch einfach so. Und als ich dann merkte, dass ich ein Studium brauchte, um das zu erreichen, was ich wollte, habe ich Geschichte studiert. Später war ich Chefsekretärin und anschließend Cheflektorin in einem Verlag. So war eins zum anderen gekommen, das Leben ist bunt und vielfältig.
Es wäre vermessen zu sagen, ich hätte alle meine Ziele erreicht. Ich hätte zum Beispiel gerne noch ein zweites Kind gehabt, und auch in der Liebe hat sich nicht alles erfüllt. Aber was nützt es, sich mit solchen Dingen lange herumzuplagen, da gehe ich zur Tagesordnung über, so einfach ist das. Insofern bin ich eigentlich immer ein zufriedener, fröhlicher Mensch gewesen.
Was sich neben der Betätigung im kulturellen Bereich durch mein Leben zieht, ist mein Einsatz für die Gesellschaft. Irgendwie bin ich immer auf sozialem Gebiet tätig gewesen. Das hängt wahrscheinlich mit meiner Erziehung zusammen. Schon während der Zeit des Faschismus habe ich meinen Eltern geholfen, bestimmte Dinge zu tun, die manchmal sogar mit dem Tode bestraft wurden. Aber man
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