Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Geschwister und Verwandten wohnen drüben, ich lebe hier. Und ich wohne deswegen hier, weil ich hier meine Arbeit und meine Freundschaften habe, aber nicht wegen der Politik. Wenn Sie mich dazu zwingen, zur Armee zu gehen, dann ist das Ihr Problem, meine Meinung kriegen Sie nicht mehr aus mir raus. Ich habe von meinem Vater, der im Krieg war, gelernt, keine Waffe in die Hand zu nehmen. Trotzdem wurde ich eingezogen. Da ich dann aber Nierensteine kriegte, bin ich nach sechs Wochen wieder entlassen worden.
Wenn man Zivilcourage besitzt, ein gerades Kreuz und eine gesunde Meinung hat, kommt man ganz schön weit. Als mein Sohn ein Säugling war, habe ich gekämpft um eine vernünftige Wohnung. Nachdem mein Schreiben an den Staatsrat nichts bewirkt hatte, habe ich Theater gemacht. Ich sagte, wenn Sie mir jetzt nicht irgendeine Wohnung geben, kippe ich Ihnen den Schreibtisch um. Das hat nichts damit zu tun, dass ich gegen den Staat bin, sondern, dass ich wegen der Gesundheit meines Sohnes eine vernünftige Wohnung brauche. Auf einmal ging das, was vorher nicht möglich war. Ich kriegte ein Haus, das ich mir alleine ausgebaut habe. Auf diese Art und Weise ging das noch in vielen Situationen weiter. Natürlich kann man bei aller Zivilcourage aber auch ganz schön mit dem Kopf gegen die Mauer prallen. Na ja, ich habe da so einige Sachen erlebt. Einmal bin ich zwei Tage eingesperrt worden, weil ich den antifaschistischen Schutzwall, der den Frieden gesichert habe, nicht anerkannt hätte. So wie ich mich nicht von meiner Meinung habe abbringen lassen, habe ich dann aber auch jeden, der politisch seine eigene Meinung hatte, akzeptiert, ob sie richtig war oder falsch.
Was meine Familie betrifft, hatte ich Glück in meinem Leben. Ich bin auch so erzogen worden, dass mir das Menschliche immer mehr wert gewesen ist als das Materielle. In der Kindheit und Jugend hat man sowieso nicht viel gehabt. Mein Vater hat immer irgendwas gegen Essware eingetauscht, damit wir nicht hungern mussten. Wenn man ein Fahrrad haben wollte, musste man es sich alleine zusammenschrauben. Aber gerade dieses Einfache in der Familie, der Zusammenhalt, der hat mir immer Spaß gemacht. Mit meinem Vater bin ich in der Früh oft mit dem Fahrrad an die untere Uecker gefahren. Die Sonne ging auf, Angel rein ins Wasser, entweder haben wir was gefangen oder nichts. Auch mit meiner Frau und meinem Sohn hatte ich tolle Naturerlebnisse. Wie oft sind wir zusammen baden, Pilze suchen oder angeln gegangen!
Ich habe überhaupt keine Angst vor dem Tod. Ich habe noch nie Angst vor irgendwas gehabt. Weil alles lösbar ist. Als ich die Diagnose mit dem Gehirntumor kriegte, habe ich mich nicht mal aufgeregt. Der wurde ja dann auch wegoperiert. Anschließend kriegte ich Parkinson, das ist jetzt zwölf Jahre her, es ist nicht heilbar. Aber auch da habe ich nicht gesagt, warum gerade ich, sondern: Da hast du Pech gehabt, jetzt musst du damit fertigwerden. Und das werde ich auch. Natürlich wäre es schöner, wenn ich die Krankheit nicht hätte, aber da meine Frau und mein Sohn mit seiner Familie regelmäßig vorbeikommen und anrufen, geht es. Meine Familie ist für mich alles. Besser als alle Werte, die es gibt. Ein Auto und so was, das sind alles nur Nebensächlichkeiten.
Mathias Holst, 71 Jahre
Ich frage mich oft: Was war das jetzt, dei n Lebe n?
Ich bin ein bissl ein schwerer Charakter, das gebe ich zu. Ich konnte nie etwas gleich » hoi, hoi« machen, sondern ich habe es so lange in mir herumgewälzt, bis es zu spät war, um es zur Blüte zu bringen. Dann sollte es eben nicht sein, so ungefähr lautete die These, die ich hinterher immer hatte. Man muss sich mit den Dingen, die einem gegeben sind, abfinden. Dann kommt man auch ein bissl besser aus jeder Situation heraus.
Es gab die große Liebe in meinem Leben, aber sie ist nie in Erfüllung gegangen. Wie soll ich das sagen, ich war dann eben auch schon ein bisschen älter, der Auserwählte auch, und ich glaube, wir haben uns gut verstanden, aber es kam zu nichts, zu keinem Höhepunkt. Auch dass ich keine Kinder habe.E ig entlich hätte ich gerne welche gehabt, wenn ich das jetzt so bei anderen sehe, aber es sollte nicht sein. Allerdings hatte mein Bruder mehrere Kinder, und das war dann auch schon ganz schön. Freundinnen hatte ich auch nur wenige. Ich wohnte etwas weit weg von der Stadt und konnte mich nicht aufdrängen, das war nicht zu wollen. Meistens lasse ich mich ansprechen, das ist vielleicht auch der Fehler,
Weitere Kostenlose Bücher