Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
dabei.
Dass ich mich immer frage, was mir im Leben wichtig ist, kommt vielleicht auch daher, dass ich schwul bin. Seit meiner Jugend, wo ich merkte, dass ich nicht bin wie die anderen Menschen, bin ich dieser Frage nachgegangen. Und wurde bei der Umsetzung in Taten immer unfassbar unterstützt von meiner Mutter. Anstatt an Vorsicht oder Absicherung zu appellieren, hat sie quasi bei allem gesagt, ja, geh, mach das, das ist klasse. Ich sage das auch zu jedem, der noch im Schwanken ist, dies oder jenes zu tun. Denn wer weiß, wie lange man noch lebt.
Johannes Voigt, 51 Jahre, Nierenkrebs
Ihr sollt nicht denken, ic h wäre unglücklich gewes en
Immer habt ihr mir gesagt, ich solle aufhören, mich selber anzulügen. Schau den Tatsachen doch endlich ins Auge, Elisabeth!, habt ihr mir zugerufen. Die Tatsachen, die meine Freunde meinten, waren, dass ich zu dumm sei für ein Studium, zu faul für eine Ausbildung und zu hässlich für einen heiratswilligen Mann. Ich würde mich gehen lassen und sollte es endlich anpacken, das Leben. Was aus mir machen. Als sie das sagten, war ich Ende zwanzig. Bis dahin hatte ich tatsächlich nichts zustande gebracht. Außer, mit mir und meinem Leben zufrieden zu sein. Aber das zählt ja nichts in dieser Hochleistungsgesellschaft. Immer musste ich mich rechtfertigen dafür, dass ich die Dinge grundsätzlich okay finde in meinem Leben, so, wie sie sind. Dass ich relativ dick bin, dass mich nichts so richtig interessiert hat, dass ich einfach nur so vor mich hingelebt habe. Ich habe mich aber nie angelogen – das habt ihr nur nie kapiert!
Ihr dachtet immer, da steht eine fette Selbstlüge zwischen eurer Wahrnehmung meiner Person und mir. Dem war aber nie so. Jetzt könnt ihr es mir ja glauben. Aber irgendwas musst du doch machen aus deinem Leben, höre ich euch noch jetzt sagen. Ich habe mich immer geärgert über diesen Satz. Wo nehmt ihr eigentlich das Recht her, euch so in mein Leben einzumischen? Gut, vielleicht dachtet ihr, ihr helft mir damit und tut es ersatzweise für meine Eltern, die ich ja früh verloren habe bei einem Autounfall. Aber habe ich je meine Freunde um Rat gebeten, wie ich mit meinem Leben zurechtkommen soll? Nein. Ihr habt es wahrscheinlich nur gut gemeint mit mir, ich weiß. Irgendjemand hat doch mal gesagt, » gut gemeint« ist das Gegenteil von » gut«. So war das in diesem Fall auch. Deswegen habe ich mich auch mehr und mehr abgekapselt. Damit ich weiter in Ruhe vor mich hinleben konnte.
Wollt ihr wissen, was ich den ganzen Tag so gemacht habe? Besser gefragt: Was ich aus meinem Leben gemacht habe? Tagsüber habe ich geschlafen, und nachts habe ich im Spielcasino als Bedienung gearbeitet. Da staunt ihr, was? Den Job habe ich mir ausgesucht, weil man da fein angezogen sein muss. In meiner schwarzen Arbeitskleidung mit weißer Bluse sah ich nämlich gar nicht so schlecht aus. Schlanker vor allem. Das hat mein Selbstbewusstsein aufgeplustert. Die meisten Männer haben gutes Trinkgeld gegeben, vor allem wenn es für sie gut lief.
Ihr müsst jetzt also nicht traurig sein, dass mein Leben schon zu Ende ist. Na gut, trauern dürft ihr schon. Ich hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn ich noch ein paar Jahre länger auf diese Weise hätte leben können. Aber ihr sollt nicht denken, ich wäre unglücklich gewesen, weil mir in euren Augen nichts gelungen ist und ich nichts hingebracht habe. In meinen Augen nämlich war ich zufrieden. Es war alles gut. Und Angst vor dem eigenen Tod habe ich deswegen nicht, weil ich schon viel Schlimmeres erlebt habe, und zwar den plötzlichen Tod meiner Eltern. Es hat auch etwas Schönes, dass ich ihnen nun folge.
Vielleicht haltet ihr mich ja weiterhin für dumm, wenn ich euch sage, dass ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube. Da ist nichts, was danach kommt. Das könnt ihr mir jetzt umgekehrt mal glauben. Apropos umgekehrt: Überprüft ihr doch mal, ob ihr euch vielleicht selber anlügt mit eurem Leben, das ihr führt. Seht ihr doch euren Tatsachen ins Auge.
Elisabeth Zimmermann, 47 Jahre, Leukämie
verstorben im Januar 201*
Natürlich wäre es schöner, wenn ich di e Krankheit nicht hätte
Die persönliche Freiheit ist mir viel mehr wert gewesen als alles andere. Immer schon. Ich habe politisch meine eigene Meinung gehabt und habe mich auch nicht davon abbringen lassen. Bei der Musterung für die Wehrpflicht haben sie mich gefragt, wie ich zum Bau der Mauer stünde. Da stehe ich überhaupt nicht zu, sagte ich. Meine
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