Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
hinwegzusetzen. Nun, vielleicht sterbe ich ja vor dir. Nach dem, was die Ärzte sagen, ist das gar nicht so unwahrscheinlich. Wenn ich bald nicht mehr laufen kann, werde ich es sein, die bis an ihr Ende gepflegt werden muss. Aber keine Sorge, ich möchte nicht, dass du das machst. Mit dir, lieber Friedhelm, möchte ich nur noch Erinnerungen wachrufen. Jeden Tag mindestens eine. Das ist doch eigentlich das Schönste, was man am Ende tun kann. Und übrigens auch das Einzige.
Ute Angermeier, 74 Jahre, Krebs
verstorben im November 201*
Der Gedanke, dass es jetzt so schnell vorbei sein wird, erfüllt mich mit großer Angst
Nein, ich empfinde keinerlei Bitterkeit über mein Leben, denn ich hatte bis jetzt ein sehr schönes Leben. Ich habe es immer vermocht, zufrieden zu sein. Aber ich bin unendlich verbittert über das frühe Ende, das mir jetzt droht. Der Gedanke, dass es jetzt so schnell vorbei sein wird, vielleicht nächste Woche schon, erfüllt mich mit großer Angst. Ich bin vor ein paar Tagen achtundvierzig Jahre alt geworden.
Was habe ich denn falsch gemacht, dass ich jetzt mit diesem Gehirntumor bestraft werde? Wer hat das veranlasst? Gott? Ich war immer ein treuer Ehemann, ein guter Familienvater und habe immer meine Steuern bezahlt. Also: Was soll das? Ich verstehe es nicht. Es trifft immer die Guten, die Unschuldigen. Die, die nicht die Welt verändern– aber sie erhalten.
Ich bin– oder soll ich sagen ich war?– seit fünfzehn Jahren Restaurator in Bayern, spezialisiert auf Kirchenmalerei. Dabei verdient man nicht viel, aber es ist eine verdammt erfüllende Arbeit. Der Pinsel in der Hand, dann im Farbtopf, die behutsame Strichführung, das Tupfen, das Warten, bis alles trocken ist. Die Korrektur. Das Abwägen zwischen nicht-zu-viel und nicht-zu-wenig Farbe. Das erfordert Feingefühl. Und das hat ja schließlich nicht jeder. Deswegen hatte ich auch immer das Gefühl, meinen Platz in der Welt gefunden zu haben. Einen kleinen, aber feinen Unterschied zu machen. Mein Vater hat mich das machen lassen, wonach mir war, hat nie darauf gedrängt, dass ich was studieren soll, solange ich nur zufrieden mit dem sein würde, was ich halt mache. Ich glaube, ob ein Mensch ein zufriedenes oder ein unzufriedenes Leben führt, hat viel damit zu tun, ob er die Erwartungen seiner Eltern erfüllen muss oder ob er von Anfang an er selber sein darf.
Robert Niemüller, 48 Jahre, Gehirntumor
verstorben im Juli 201*
Wir haben zusammengehalten, w enn es drauf anka m
Eigentlich war ich immer gläubig, von Anfang an. Als Kind ging ich auf eine Nonnenschule, wir haben dort fleißig die Bibel gelesen. Jeden Dienstagmorgen war Gottesdienst, und ich habe im regelmäßigen Turnus das Evangelium vorgelesen, manchmal auch die Fürbitten. Nachmittags gab es einen Bibelkreis. Die Teilnahme war freiwillig, ich bin fast immer dort gewesen. Es hat mir Halt gegeben. Dass Frauen in der Kirche nichts zu sagen haben, das hinterfragte ich erst sehr viel später. Ich wurde ja nur zum gefügigen Glauben erzogen, habe mich auch nur für Gott interessiert, nicht für eine Karriere in der Kirche.
Mit Anfang zwanzig wurde ich unehelich schwanger, wir haben dann aber schnell geheiratet, damit es keinen Ärger mit der Familie und mit der Gemeinde gab. Es war irgendwie zu früh, das wussten wir beide, aber es musste halt sein. Ein bisschen peinlich war die Hochzeitsfeier dann schon. Mein Vater hielt eine verklemmte Rede, in der er die Tauglichkeit des Kindsvaters als Ehemann und Vater infrage stellte. Das merkte jeder, der am Tisch saß, ganz deutlich. Und an dieser Tauglichkeit zweifelt mein Vater bis heute. Mein Mann ist Kfz-Mechaniker, wir haben uns auf einem Jahrmarkt kennengelernt, an der Schießbude. Ja, gut schießen könne er vielleicht, höre ich meinen Vater noch immer sagen, dies habe er ja bewiesen– aber für eine Familie sorgen? Es war ein ständiger, oft auch beleidigender Kampf zwischen den beiden. Und ich saß immer zwischen den Stühlen. Alles hat sich an Kleinigkeiten entzündet.
Die Grillabende bei uns, wenn wieder das Fleisch nicht lange genug eingelegt war und Rudi angeblich die Würstchen zu lange auf dem Feuer gelassen hat. Dabei ging es gar nicht um die Würste, es ging darum, dass du ihn nie akzeptieren wolltest, meinen Mann. Ich bedaure, dass ich es nie geschafft habe, dir das ins Gesicht zu sagen. Stattdessen habe ich geschwiegen. Tja, Papa, jetzt werdet ihr bald ohne mich weitermachen müssen. Lass den Rudi doch in Ruhe.
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