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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Ich habe geweint, war verzweifelt. Jess war wunderbar, hat mich stundenlang im Arm gehalten. Mit einer unendlich großen Vertrautheit. Irgendwann habe ich mein Sterbenmüssen akzeptiert. Welch ein großes Glück, dass Jess bei mir war und ist, mein Leben lang. Ja, es ist mein größtes Glück überhaupt, dass sie mich damals nicht verlassen hat. Und unsere gemeinsamen Kinder, die kümmern sich auch bestens um mich. Wenn man schon vorzeitig gehen muss, dann ist es tröstlich, dass man nicht allein ist. Mit meinem größten Dank aus tiefstem Herzen werde ich von euch gehen. Trauert nicht zu sehr um mich, ich habe meine Chancen ergriffen. Eines Tages kommen sie auch für euch, und dann ergreift sie bitte auch. Damit ihr am Ende eures Lebens nicht sagen müsst: Hätte ich doch. Lieber etwas Getanes bereuen, als einem Versäumnis hinterhertrauern.
    Dan Milton, 58 Jahre
    verstorben im März 201*

Eier und Buletten am Wannsee
    Die einzig schöne Zeit in meinem Leben war meine Kindheit. Mit meinen Geschwistern beim Ponyreiten auf dem Bauernhof. Als wir eine Familie waren. Kurzreisen ohne Geld. Ohne Geld entstehen lustige Situationen. Zum Beispiel, als wir Eier und Buletten am Wannsee gegessen haben, weil die Cafés so teuer waren.
    Wir haben immer alles selbst erarbeitet, meine Mutter hat das schon getan, und meine Töchter tun es auch.
    Vom gesamten Rest meines Lebens möchte ich nichts notiert wissen. Die Erinnerung ist einfach noch zu frisch; und ich möchte meinen Kindern nicht damit wehtun, wie ich mein Leben im Rückblick sehe.
    Es ist viel Pech über meine Familie gekommen. Warum das so ist, weiß ich auch nicht. Ich habe stets alles registriert, ob ich es aber alles begriffen habe, weiß ich nicht. Ich glaube an die zehn Gebote. Aus der Bibel kann man schon viel nehmen. Was du nicht willst, das man dir tut… Ach, bitte organisieren Sie mir doch einen Pfarrer. Das wäre jetzt das Richtige.
    Louise Riemschneider, 73 Jahre, Diabetes und Krebs

Das Leben kommt ja auch von nichts
    Madame Rousseau saß rechts am Tisch, gegenüber ihr frisch vermählter Mann und dazwischen Celine, die kleine Tochter. Wir aßen selbst gebackenes Brot und lachten über Celines tollpatschige Essmanieren. Ich war fünfzehneinhalb Jahre alt und erlebte gerade den ersten Höhepunkt meines Lebens: weit weg von zu Hause zu sein, in einer normalen Familie mit Anstand und Liebe.
    Meine Jugend war eine Katastrophe. Ich bin als Stiefkind groß geworden. Meinen leiblichen Vater habe ich nie kennengelernt, und der zweite Mann meiner Mutter war unmöglich für mich. Er hat einfach nur Mitarbeit aus mir herausgesogen. Wenn ich aus der Schule kam, musste ich sofort für ihn strammstehen und in seiner Werkzeugfabrik blödsinnige Fließbandarbeit machen. Nie habe ich eine Streicheleinheit von ihm bekommen. Im Gegenteil, wenn ich nicht gehorchte, peng, hatte ich wieder eine Watschen.
    Eines Tages kriegte ich die Nachricht, dass ich bei einer Familie in der französischen Schweiz wohnen und in deren Bäckerei arbeiten könne. Das Einzige, was mir mein Stiefvater bei der Verabschiedung sagte, war: Du weißt, was du zu tun hast. Meine Mutter hatte mir fünf Franken mitgegeben. Geld war knapp gewesen, knapper geht’s gar nicht. Deshalb konnte sie mich vor meinem Stiefvater auch nie so richtig in Schutz nehmen. Sie musste zusehen, dass sie meinen älteren Bruder und mich aus erster Ehe irgendwie durchbrachte.
    Das Wichtigste im Leben waren mir Freiheit und Sicherheit. Ich hatte einen unbändigen Willen, selbstständig zu sein und eine Existenz aufzubauen, die mir niemand mehr nehmen konnte. Die habe ich dann auch erarbeitet, mit viel Schweiß. Mit fünfundzwanzig war ich Personalchef im Hotel Belle Vue Palast und mit siebenundzwanzig Direktor des Grand Hotel Regine im Grindelwald, ein Fünf-Sterne-Haus.
    Die Familie kam dabei zu kurz. Ich glaube, dass ich meinen Kindern zu wenig gegeben habe. Ich habe keine Zeit für sie aufgewandt, dazu war ich zu egoistisch. Auch für meine Frau nicht. Ich habe alles in den Beruf reingesteckt. Wahrscheinlich wegen meiner Jugend. Abends war ich dann fix und fertig, da konnte ich nur noch mit meinem Hund sprechen oder spazieren gehen. Die Entscheidung für den Beruf war bewusst, der machte mir Spaß, da kriegte ich Anerkennung, die sich im Gehalt und in Zahlen ausdrückte. Als ich 1961 als Chefeinkäufer im textilen Einzelhandel anfing, waren wir der kleinste Betrieb in der Schweiz. Und

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