Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Krankheit wie ich, er kennt sich also aus. Außerdem steht er mir als Pfleger sehr nahe. Verwandte können das nicht, einen pflegen. Sie haben einfach nicht die richtige Distanz. Man wird immer nur als Kranke behandelt. Die Normalität fehlt. Mein Mann mag Andi genauso gerne wie ich. Weil er gut auf seine Frau aufpasst.
An ein Leben nach dem Tod glaube ich nicht. Schön wäre es, wenn ich’s könnte. Ich rede auch oft mit Gott, zweifle allerdings an seiner Existenz.
Teresa Altmann, 59 Jahre
verstorben im Juni 201*
Lieber etwas Getanes bereuen, a ls einem Versäum nis hinterhertrauern
Das ganze Leben spielt sich rund um zwischenmenschliche Beziehungen ab. Vor allem in der Familie. Für mich ist es immer eine Frage von Geschwindigkeit und Richtung. Wie im Straßenverkehr. Je früher man heiratet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass beide Ehepartner sich den Rest des Lebens im gleichen Tempo und in dieselbe Richtung entwickeln. Selbst wenn man im selben Fahrzeug sitzt. Am Anfang, wenn man sich aus purer Liebe verspricht, den Rest des Lebens zusammenzubleiben, dann spricht man vielleicht mal darüber, wie es in späteren Lebensphasen so sein wird. Ich höre mich noch sagen: Ach, wenn es mal so weit ist, dann fällt uns schon was ein.
Jess und mir war nach zweiundzwanzig Jahren Ehe leider nichts eingefallen. Wir haben geheiratet, als sie einundzwanzig war und ich dreiundzwanzig. Mit allen Träumen, die man dann noch vom Leben hat. Dann bekamen wir vier Kinder, alles war wunderbar. Jess hat ihre Ausbildung zur Kosmetikerin abgeschlossen, hat aber aus freien Stücken nie gearbeitet, weil sie für die Kinder da sein wollte. Ich war Truck-Fahrer. Das sind diese riesengroßen Laster. Durch die Nachtschichten habe ich gut verdient. Das jährliche Highlight waren die Sommerferien, wir waren jedes Jahr am selben Ort beim Zelten. Alle vier unserer Kinder sind in der Lage, selber ein Zelt aufzubauen. Das habe ich ihnen frühzeitig beigebracht.
Jedenfalls sind jetzt die Kinder aus dem Haus, und Jess hat seitdem ihre Lebensaufgabe verloren. Genau in dem Moment, als Bill, unser Jüngster, nach Ohio zog, um dort eine Ausbildung zum Handwerker zu machen, bekam ich das Angebot, für die Firma Sterling im Vertrieb zu arbeiten. Sterling gehörte früher zu Ford, und ich sollte daran mitarbeiten, das Truckmodell Ford F-650 zu vermarkten. Eine großartige Chance für mich. Eine besondere Herausforderung, die mich wirklich gekickt hat. Vom Fahrer zum Vertriebsmitarbeiter– das schaffen nur wenige. Dass so etwas in der Mitte meines Lebens noch mal auf mich zukommen würde, das hätte ich nie gedacht. Jess sah das Ganze leider nicht so. Sie fragte mich: » Und was soll ich dann den ganzen Tag machen?« Denn als Truckfahrer hatte ich nur Schichteinsatz und war zwar unregelmäßig, aber doch recht viel zu Hause.
Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass sie sich selber eine neue Aufgabe suchen muss. Egal was, und wenn es Kakteenzüchten ist. Oder Eierwärmer stricken. Ganz egal, Hauptsache, sie findet etwas, das sie erfüllt. Ihren Beruf als Kosmetikerin wollte sie auch nicht mehr aufgreifen. Sie wollte gar nichts, nur verhindern, dass ich beruflich eine Herausforderung annehme. Wieso bin ich denn sonst verheiratet, wenn du jetzt, da die Kinder aus dem Haus sind, nicht mehr Zeit für uns hast? Es war der größte Konflikt in meinem Leben. Ich musste mich zwischen meiner Frau und meiner Arbeit entscheiden. Es war keine leichte Entscheidung, und Jess hat sie mir auch nicht leicht gemacht. Aus ihrer Sicht habe ich nur an mich gedacht, und aus meiner Sicht hat sie nur an sich gedacht. Es war vertrackt. Schlussendlich habe ich mich für meine Chance entschieden. Und Jess hat es akzeptiert. Sie hat zwar immer noch keine neue Aufgabe, aber sie hat sich nicht getrennt. Dazu haben wir auch zu viel gemeinsam aufgebaut. Und das alles wegzuwerfen, nur weil man plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen wird, das wäre undankbar gewesen. Das habe ich ihr immer wieder runtergebetet. Bin ich froh, dass Jess die Kurve gekriegt hat! Sie geht jetzt öfter ins Fitnessstudio, ins Nagelstudio, sieht ihre Freundinnen. Und jeden Samstagabend führe ich sie zum Italiener aus. Das ist unser neues Ritual.
Seit ein paar Wochen allerdings liege ich hier im Hospiz in Kalifornien. Und damit ist es dann wohl auch bald vorbei, mein Leben. Ich sehe das ganz realistisch. Zuerst hatte ich eine brutale Angst, als ich die Diagnose einer unheilbaren Krankheit bekam. Ich
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