Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
jetzt? Ich kann noch nicht einmal alleine auf die Toilette gehen, und meine Tochter bezahlt für mich, wenn ich etwas kaufen möchte. Mein ganzes Leben habe ich über mich bestimmt, und jetzt, wo ich alt bin, muss ich über mich bestimmen lassen. Aber auch da muss ich wieder zufrieden sein. Ich habe meine Kinder und meine Enkelkinder. Es gibt viele hier im Pflegeheim, die ganz alleine sind.
Ich habe meinen Kindern schon gesagt, wenn ich mal sterbe, weint nicht, ich bin so weit. Ich habe mein Leben gelebt, das ist etwas anderes, als wenn man jung stirbt. Ich bin auch so ein Mensch, der seine Beerdigung bereits geregelt hat. Mein Mann und ich sind damals ins Beerdigungsinstitut gegangen und haben uns die Hemden ausgesucht, die wir das letzte Mal anziehen wollen, den Sarg gewählt, das Kopfkissen und die Decke. Ich habe das Grab, wo ich reinkomme, mein Mann und meine Tochter warten dort auf mich. Die Patientenverfügung habe ich auch gemacht. Ich möchte bloß nicht kämpfen müssen, dass ich sterben kann. Es müsste schnell gehen, das wünscht sich jeder.
Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, dazu bin ich zu realistisch. Ich habe immer diejenigen beneidet, die glauben können. Weil man dann noch jemanden über sich hat, den man verantwortlich machen kann für so manches. Ich konnte nicht sagen, warum hast du da oben…, ich musste es alleine tragen. Aber ich habe mich eingelassen auf die Menschen, auf das Leben.
Gisela Weber, 84 Jahre
In der Musik konnte ich weiter der Rebell sein, der ich immer war
Schon als Kind war ich ein kleiner Rebell. Einfach so vom Typ her. Gar nicht, weil ich mich gegen irgendetwas auflehnen wollte. Und damals hat man kleine Rebellen auch noch Rebellen sein lassen. Es wurden nicht sofort die Eltern in die Schule bestellt, um ihnen mitzuteilen, dass sie ein gewaltbereites Kind haben, nur weil wir mal dem einen oder anderen auf dem Pausenhof in die Magengrube getreten haben. Meine Eltern hätten für so etwas auch gar keine Zeit gehabt. Ich komme aus kleinsten Verhältnissen, mein Vater war auf dem Bau, meine Mutter hat als Putzfrau gearbeitet. Wir haben jeden Pfennig umgedreht, waren aber trotzdem zufrieden. Manchmal denke ich mir, vielleicht waren wir gerade deswegen zufrieden. Es gab ja auch gar nicht die Möglichkeit zu diskutieren, ob ich lieber Schinken oder Käse aufs Schulbrot haben möchte. Oder ob ich ein neues Spielzeug bekomme, oder ob wir mit dem Flugzeug fliegen. Ich habe noch nie in einem Flugzeug gesessen. Und vielleicht werde ich diese Welt verlassen, ohne je irgendwohin geflogen zu sein. Ich habe nie so sehr davon geträumt, dass ich darauf gespart hätte, aber wenn ich mir vorstelle, dass ich es nicht mehr werde machen können, bevor ich sterbe, dann bereu ich’s jetzt schon ein bisschen. Na ja, ich ärgere mich eher, als dass ich es bereue. Mehr nicht.
Denn es gab schon immer etwas viel Wichtigeres in meinem Leben, und darauf habe ich immer gespart, und dafür habe ich auch immer mein ganzes Geld ausgegeben. Das war die Musik. Die habe ich für mich entdeckt, als ich dreizehn war. Damals bin ich mit dem Nachbarn auf seinem Moped in die Stadt gefahren, um das neue Supertramp-Album zu holen. Oder AC / DC . Wir haben uns dann bei ihm zu Hause hingesetzt und angefangen, selber Musik zu machen. Seine Eltern hatten etwas mehr Geld als meine, weil sein Vater auch auf dem Bau gearbeitet hat, aber in einer höheren Position als mein Vater. Deswegen konnten sie ihrem Sohn eine Gitarre kaufen. Jedenfalls habe ich es meinem Nachbarn zu verdanken, dass ich meine Leidenschaft entdeckt habe. Denn in der Musik konnte ich weiter der Rebell sein, der ich immer war, da konnte mich keiner bändigen.
Thomas, wenn du das liest, dann möchte ich dir noch mal danke sagen für alles, was in meinem Leben durch dich möglich war. Ich glaube, ich habe dir das nie so richtig sagen können. Wir haben zusammen eine Band gegründet, die » Rocking Rebels«, und das war eine so schöne Zeit. Unsere Lieder waren so zwischen Indie Rock und Alternative Rock angesiedelt, und meistens haben wir die von den großen Bands wie R.E.M. nachgespielt. Musik macht frei, bei der Musik kannst du all deine Sorgen vergessen. Ich kann ohne Musik nicht leben. Alles andere war mir auch immer schon egal, mehr oder weniger. Das hat meine Eltern und später auch meine Frauen zum Verzweifeln gebracht, dass ich mich für nichts anderes interessiert habe. Vor allem die Frauen haben mir dann nach einer Weile gesagt:
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