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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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Grenzsituation war, also erlebt hat, wie es ist, wenn man voll und ganz auf sich selbst angewiesen ist und eine Not bewältigen muss– dann kann man sein Leben danach ganz anders betrachten. Man nimmt es ohne Wenn und Aber in die Hand. Weil es gar nicht anders geht, denkt man nicht nach, zögert und zaudert nicht.
    Nach der Highschool habe ich mich mit zwei Freundinnen aus anderen rumänischen Einwandererfamilien zusammengetan, und wir haben ein Nagelstudio in Los Angeles aufgemacht. Uns fiel nichts Besseres ein, und wir konnten ja auch nichts. Es hat uns sofort gutes Geld gebracht, und das tut es bis heute. Das liebe ich an Amerika: Hier wird keiner beurteilt für das, was er aus sich macht. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Mit den Jahren konnten wir größere Räume anmieten, und es kamen sogar Hollywoodstars in unser Nagelstudio. Aus Diskretionsgründen darf ich keine Namen nennen, das habe ich denen versprochen und das wäre auch schädlich für unser Business. Die meisten wollen immer die französische Form gefeilt bekommen, also die gerade Form des Fingernagels, nicht die runde. Das sieht dann auch in den Filmen besser aus, sagen sie. Sonst reden wir nicht viel, die sind ja meistens am Telefon.
    Das Leben der Stars würde ich nie gerne führen wollen. Die leben doch alle in einem goldenen Käfig, ob sie wollen oder nicht. Viele von ihnen merken es auch gar nicht, wie es um ihre Freiheit inzwischen bestellt ist. Wenn man sie fragen würde, dann würden sie bestimmt alle sagen, sei seien extrem frei. Aber Freiheit bemisst sich ja nicht nur in Geld. Ich weiß, wovon ich rede.
    Seit einem Jahr habe ich Krebs. Da denkt man dann natürlich schon noch mal ganz anders über sein Leben nach. Weil plötzlich die Selbstverständlichkeit weg ist. Weil einem von heute auf morgen klar wird, dass es bald vorbei sein wird. Ich habe aber keine große Angst vor dem Sterben, ganz ehrlich. Das mag daran liegen, dass ich es mir auch einfach nicht vorstellen kann. Schauen Sie, jetzt sitze ich hier mit Ihnen auf dieser Bank am Strand. Links über uns ist der Himmel grau und wolkig, rechts über uns strahlend blau. Und sehen Sie die Vögel auf dem Dach des Gebäudes? Da sitzen lauter dunkle Spatzen. Und mittendrin eine große weiße Möwe. Was macht sie da?
    Vorhin fragte mich eine Passantin, welchen Wochentag wir heute haben. Ich habe ihr nicht geantwortet, weil es mich nicht interessiert. Ich glaube, wir haben heute Donnerstag. Was spielt das schon für eine Rolle. In einer Woche ist auch wieder Donnerstag. Aber dann sitzt vermutlich keine Möwe mehr unter den Spatzen auf dem Dach hier. Und ob ich dann noch da bin, weiß ich auch nicht.
    Irina Sukovic, 70 Jahre, Krebs
    verstorben im Januar 201*

Ich kann also sagen, dass über meinem Leben das Wort Glück steht
    Mein Dasein hier im Heim ist eine Enttäuschung. Meine Frau und ich hatten uns zwar damals bewusst dazu entschlossen, ins Heim zu gehen, aber jetzt habe ich zwei Pflegegruppen, so habe ich mir das nicht vorgestellt, das Altwerden. Immer auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, nicht schön. Das eigenbestimmte Leben war schöner.
    Vor einiger Zeit habe ich mir überlegt, an welchen Punkten deines Lebens hast du schon mal Glück gehabt? Mit der Geburt fing das schon an. Ich war gesund, und meine Eltern waren beide prima. Dass mein Vater noch in seinen alten Tagen Soldat im Ersten Weltkrieg wurde, fand ich bemerkenswert. Ein strammer Spruch von ihm war: Ordnung ist das halbe Leben. Das hat mir geholfen.
    Und dann war es ein großes Glück, dass ich nicht im Krieg gefallen bin. Das war eine eigenartige Situation damals, als wir mit dem einjährigen Arbeitsdienst in Russland fertig gewesen waren. Wir freuten uns auf den Urlaub, doch statt nach Hause zu fahren, wurden wir auf einen LKW geladen und bei der Infanteriekompanie in Danzig wieder abgeladen. Unsere braunen Uniformen vom Arbeitsdienst mussten wir gegen die grauen der Wehrmacht eintauschen. Trotzdem hatte ich Glück, bei der Kompanie in Danzig gelandet und nicht gleich an die Front gekommen zu sein. Wir mussten den Generaloberst von Kleist in einem Sanatorium bewachen.
    Ich kann also sagen, dass über meinem Leben das Wort Glück steht. Und zwar auch bei Dingen, an denen viele Leute vorbeigehen, die gar nicht darauf kommen, dass das Glück war, was ihnen passiert ist. Zum Beispiel mein Klassenlehrer in der Mittelschule, das war Glück, dass ich den hatte. Der war jung, und er hat nie einen Stock in die Hand genommen,

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