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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht ohne Ärger und Protest. Aber im Laufe der Jahre
waren wir beide ruhiger geworden und hatten uns mit Zynismus gepanzert. Das war
unser einziger Schutz gegen den Schmerz, die einzige Rüstung, die es uns
erlaubte, immer weiterzumachen.
    Ich wandte mich ab und schaute durch
die Farne aus dem Fenster nach vorn raus. Neblige Dämmerung lag über der Stadt,
viel zu früh für September, die Botin eines langen, dunklen, harten Winters.
Mit den länger werdenden Schatten sank auch meine Stimmung. Für mich war San
Francisco immer eine helleuchtende Stadt, und dieses Leuchten ging hauptsächlich
von den Menschen aus. Aber in der letzten Zeit hatte ich den Eindruck, daß
immer mehr Lichter ausgingen; erst heute war wieder eines ausgelöscht worden.
Der Verlust von Rudy Goldrings Freundlichkeit und Wärme — die ich kaum eine
Stunde lang gespürt hatte — erfüllte mich mit schmerzvoller Leere.
    Ich zwang mich, zum Telefon zu gehen
und die Remedy Lounge anzurufen. Brian, der Barmixer, sagte mir, daß Rae vor
etwa fünfzehn Minuten gegangen sei und ihn gebeten habe, mir auszurichten, daß
ich sie später anrufen solle. Nein, ärgerlich sei sie nicht gewesen. Sie habe
die Zeit damit verbracht, Bier zu trinken und sich mit einem der Stammkunden,
Joey Corona, zu unterhalten, der an der Mission Street eine
Autoreparaturwerkstätte besaß.
    Ich mußte lächeln. Ich stellte mir Raes
verrosteten alten Rambler American vor; wie ich sie kannte, hatte sie Joey
wahrscheinlich überredet, ihn ihr billig zu reparieren.
    Der Gedanke war tröstlich. Solange es
Männer gab, die man zu Sachen überreden konnte, und solange es Frauen gab, die
das wollten und konnten... konnte es nicht so schlecht um die Welt stehen...
    Oder doch?
     
     
     

6
     
    Ich wollte nicht heim, noch nicht. Ich
hatte fast nichts Eßbares mehr im Haus; mein Kater war ein Rumtreiber geworden
und würde wahrscheinlich nicht dasein, um mich zu begrüßen; mein Haus, das seit
einer Weile schon einer nie fertig werdenden Baustelle ähnelte (ich hatte vor
kurzem begonnen, meine hintere Veranda umzubauen, um sie als Schlafzimmer zu
benutzen; aber dann war mir das Geld ausgegangen), war eine äußerst ungastliche
Stätte. Außerdem war ich immer noch deprimiert — es war keine tiefe
Niedergeschlagenheit, aber ein nagendes Gefühl der Unzufriedenheit, dem eine
eigenartige, deutlich spürbare Trauer zugrunde lag und ich wollte mit Leuten zusammensein,
die mich verstehen würden. Zum Beispiel mit Jack Stuart, Rudy Goldrings Anwalt,
und wenn ihn die Polizei noch nicht benachrichtigt hatte, dann sollte er die
Nachricht vom Tod seines Mandanten von mir erfahren. Ich fuhr nach Bernal
Heights in die Kanzlei.
     
    Es war nach sieben, als ich an der
Spitze des dreieckigen Spielplatzes parkte. In dem dichten Nebel drang nur
wenig Licht durch die Fenster auf die Straße. Die Häuser hier in Bernal Heights
sind großenteils Einfamilienhäuser und wenige Mehrfamilienhäuser. Hier wohnen
in dichter Nachbarschaft Arbeiterfamilien, Neo-Yuppies und so komische Typen
wie die Leute bei All Souls. Ich schaute in die Fenster eines nahe gelegenen
Hauses und sah eine Familie beim Abendessen vor dem Fernsehgerät, ein Paar
deckte den Tisch für ein Kerzenlicht-Dinner, und ein Streichquartett probte
neben einem Flügel, dessen Deckel mit McDonalds-Tüten übersät war.
    Es war ruhig in der Kanzlei. Ich zog
den Mantel aus und legte ihn aus alter Gewohnheit auf dem Schreibtischstuhl in
meinem ehemaligen Büro ab. Dann ging ich weiter in die Küche. Hank und Jack
Stuart waren noch da. Sie saßen mit Weingläsern in der Hand ins Gespräch
vertieft an dem runden Tisch beim Fenster. Als ich hereinkam, blickten beide
zur Tür, und als sie mein Gesicht sahen, zeigte sich Sorge auf ihren düsteren
Mienen.
    »Shar, was ist los?« fragte Hank.
    Trotz meiner eigenen Sorgen erkannte
ich mit Schrecken, daß er furchtbar aussah. So erschöpft und müde hatte Hank
seit langem nicht ausgesehen. Ich blickte Jack an; seine Augen gingen von mir
zu Hank und zurück: Ich glaubte eine Warnung zu erkennen: Sag nichts, das
ihn aufregen könnte.
    Ich hielt mich daran. »Nichts von
Bedeutung. Ich muß nur mit Jack sprechen.«
    Hank kannte mich seit langem sehr gut;
er spürt es, wenn ich Halbwahrheiten erzähle. Aber an diesem Abend schien er
mir glauben zu wollen. Er nickte, leerte sein Glas, nach dem letzten Schluck
schien ihm leicht übel zu sein, und stand auf. »Nun, ich muß sowieso gehen.« Zu
Jack meinte er:

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