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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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sich.
»Oh, alles ist so schrecklich, und... ich weiß nicht. Heute nachmittag muß etwas
Furchtbares passiert sein, denn Rina hat uns nicht von der Schule abgeholt, und
sie vergißt das sonst nie. Wir sind schließlich mit dem Bus gefahren, und Mama
war hysterisch, und Papa war wütend, und Rina... sie ist weg. Weg.«
    Die Verzweiflung, die aus ihrer Stimme
herausklang, brach mir das Herz. »Meinst du, sie ist für immer weggegangen? Hat
sie Susan mitgenommen?«
    »Sie hat Susan mitgenommen. Ich weiß
nicht, ob es für immer ist. Papi spricht nicht darüber, und Mama ist in ihrem
Schlafzimmer und schreit wieder. Papa hat uns Abendbrot gemacht, und nun sieht
er mit Betsy fern und tut so, als ob nichts geschehen wäre. Ich hab’ Angst vor
Papa, Sharon. Ich hab’ wirklich Angst vor ihm.«
    Sie sprach nun wie ein kleines Mädchen,
nicht mehr wie das frühreife, fast zynische Kind, dem ich vor der Abbott School
begegnet war. »Er ist heute abend irgendwie anders. Er ist wie... er sieht nur
fern und lächelt so komisch. Es ist alles so... oh...«
    »Lindy...«
    Sie fing an zu weinen. »Kommst du und
holst uns von hier weg? Bitte, hol Betsy und mich von hier weg!«
    »Lindy! Hör auf zu weinen!«
    Sie hörte augenblicklich auf zu
schluchzen. Dann schniefte sie.
    Das arme Kind, dachte ich. Sie hat in
ihrem kurzen Leben schon so viel gesehen, und sie mußte sich vermutlich nicht
nur selbst durchschlagen, sondern sich auch noch um ihre kleine Schwester
kümmern. Sie hat gelernt, ihre Gefühle wie einen Wasserhahn abzustellen.
    Ich sagte mit sanfterer Stimme: »Lindy,
ich bin nicht wütend, weil du weinst. Ich möchte nur, daß du dich beruhigst,
denn es muß etwas geschehen. Ich möchte mit deinem Vater sprechen.«
    »Nein! Wenn er herausfindet, daß ich
das mit Megans Anruf erfunden habe...«
    »Das ist schon in Ordnung. Bitte tu das
für mich. Geh in das andere Haus hinüber und bitte ihn, den Hörer abzunehmen.«
    Es entstand ein langes Schweigen.
»Kannst du uns helfen?«
    Das wußte ich nicht, aber um
ihretwillen log ich: »Ja, ich kann euch helfen. Das verspreche ich.«
    »Leg nicht auf.« Ich hörte Schritte,
dann herrschte etwa zwei Minuten lang Stille.
    Während ich wartete, dachte ich über
Gerry nach; er benahm sich, als ob nichts geschehen wäre, während seine Frau in
ihrem Schlafzimmer schrie; er weigerte sich, Irenes und Susans Abwesenheit zu
erklären; er »lächelte komisch«.
    Irgend etwas war dort faul, aber ich glaubte
nicht, daß Gerry seinen Kindern weh täte. Im Gegenteil, er würde wohl alles
tun, um ihnen weitere Schrecken zu ersparen. Aber wenn ich hinginge, würde er
mir gegenüber vielleicht handgreiflich werden. Als ich seine Stimme schließlich
hörte, wußte ich, was zu tun war.
    Er sagte: »Hallo. Spricht da Sharon
McCone?«
    »Ja.«
    »Lindy kannte Ihren Nachnamen nicht.«
    »Wir wurden uns nie richtig
vorgestellt. Gerry, ich muß mit Ihnen sprechen.«
    »Kommen Sie hierher. Lassen Sie uns
etwas zusammen trinken.«
    »Nein, ich glaube nicht, daß das eine
gute Idee ist.« Ich wollte ihm lieber auf neutralem — und sicherem — Boden
begegnen. Ich sagte ihm, daß ich in der Druckerei an der Stanyan Street sei,
und gab ihm die Adresse. »Können wir uns hier treffen?«
    »Ich kann die Mädchen nicht alleine
lassen. Unser Kindermädchen ist nicht da, und Vicky ist...«
    »Ich weiß.« Aus dem Augenwinkel sah
ich, wie Charlie hinter der Offsetdruckmaschine auftauchte. Wie ich erwartet
hatte, war er tintengeschwärzt, verschwitzt und wütend. »Bringen Sie die
Mädchen mit. Mein Freund hier geht gleich nach Hause, und er kann sich eine
Weile um sie kümmern.« Charlie und Daphne haben in, ihrer Wohnung immer für ein
oder zwei Leute — gleich ob Kinder oder Erwachsene — Platz. Betsy und Lindy
würden dort in Sicherheit sein, bis die Sache aufgeklärt war.
    »Ich weiß nicht, ob ich Vicky alleine
lassen kann.«
    »Gerry, schauen Sie mal Ihre Töchter
an. Die Kinder müssen dort raus. Ich muß mit Ihnen sprechen. Und soweit
ich das beurteilen kann, hilft es Vicky auch nicht, wenn Sie zu Hause bleiben.«
    Es entstand eine Pause, und ich
fürchtete, ihn verärgert zu haben. Aber auch ihm schien das Wohlergehen seiner
Töchter sehr am Herzen zu liegen, denn er sagte: »Ich komme. Geben Sie uns
fünfzehn oder zwanzig Minuten.«
     
    Ich erzählte Charlie von den
Cushman-Mädchen, ich sagte ihm nur, daß ihre Mutter in einer Krise steckte,
nicht aber, daß ihr Vater möglicherweise in zwei

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