Dieser Sonntag hat's in sich
Kanzlei?«
»Ich versuche, meinen streunenden
Ehemann einzufangen. Wir sind zu einer Cocktailparty eingeladen, eine Veranstaltung
für« — sie nannte den Namen eines liberalen Senators — »und ich sollte Hank
hier abholen. Aber er ist ausgeflogen.«
Ich lachte und war froh, daß sich noch
nicht alles geändert hatte. Diese Spenden-Parties...
Auch wenn Hank sich in zunehmendem Maße
für Designer-Anzüge und Erstausgaben von irgendwelchen obskuren
Kultschriftstellern begeisterte, hatte er seine linken Ideale doch einigermaßen
unbeschädigt in das neue Jahrzehnt hinübergerettet. (Er bezeichnet seine
Einstellung als gemäßigten Maoismus, während andere wohl eher sagen würden, daß
er Roosevelt nahesteht.) Hank hielt den Kandidaten, den Anne-Marie gerade
genannt hatte, für einen Schaumschläger.
Ich schlug vor: »Versuch’ es mal im
Remedy.«
»Das hat Ted auch gesagt.« Sie klang
nun noch niedergeschlagener. »Er war in der letzten Zeit wohl ziemlich oft
dort?«
»Ja, ziemlich.«
»Er hat früher nie soviel getrunken.«
»Nein.« Ich war nahe dran, ihr von
unserem mittäglichen Besäufnis zu erzählen, aber jetzt war nicht die richtige
Zeit. Sie mußte Hank den Krallen des Remedy entreißen, und ich mußte
herausfinden, ob irgendwelche Nachrichten für mich da waren. »Hör mal«, sagte
ich, »laß uns bald mal reden.«
»Warum, hat Hank etwas über mich
gesagt?«
»Nein. Du bist meine Freundin, und ich
mache mir Sorgen.«
Ihre Antwort klang ein bißchen
beschämt. »Wir reden bald, ich verspreche es.«
»Gut.« Um sie nicht noch länger
aufzuhalten, fragte ich nach Ted.
Ted ist der perfekteste Sekretär der
Welt — wenn man mit seinen Eigenarten leben kann. Er geht in seinem Beruf auf,
ist bereit, für wenig Geld viel zu arbeiten. Er ist mit übersensiblen Ohren und
einer Nase gesegnet, die Tratsch auf hundert Stunden riecht. Wenn er zu
Geheimhaltung verpflichtet wird, kann Ted aber auch wie ein Grab schweigen.
Mir, für meinen Teil, sind seine Talente schon oft sehr gelegen gekommen.
Obwohl ich ihn beim Abendessen
unterbrochen hatte, las er mir jetzt, ohne zu murren, meine Nachrichten vor. Es
waren fünf: drei von Mandanten, eine von Rae und eine von meiner Mutter. (Ich
wußte, ich hätte mich am Sonntag bei Mama melden sollen; wenn sie anfängt, im
Büro anzurufen, heißt das, daß sie sich Sorgen macht und daß ich Ärger
bekomme.) Bob Choteau hatte nicht angerufen.
Das Gespräch mit Bob — sofern er auf
die zwanzig Dollar spekulierte — konnte sehr wichtig sein. Ich fragte Ted:
»Bist du den ganzen Abend zu Hause?«
»Sieht so aus.« Das bedeutete, bis sich
etwas Interessantes ergab.
»Könntest du, solange du zu Hause bist,
ans Telefon gehen?«
»Erwartest du einen wichtigen Anruf?«
»Ja. Ich muß es unbedingt wissen, wenn
dieser Bob Choteau anruft. Und wenn er sich meldet und du weggehst, bevor ich
wieder anrufe, könntest du dann unter dieser Nummer eine Nachricht
hinterlassen?« Ich gab ihm die Nummer von Daphne und Charlie.
Es beunruhigte mich, daß Bob sich noch
nicht gemeldet hatte. Vielleicht hatte er noch mehr getrunken oder Drogen
genommen und meinen Besuch in der Mühle vollkommen vergessen. Als ich den Hörer
auflegte und nach vorne in die Druckerei schaute, kam ein weitaus besserer
Informant mit seinen Töchtern zur Tür herein.
23
Als Charlie mit den Mädchen
aufgebrochen war, gingen Gerry und ich in ein Café an der Haight Street, die
»Kaffeebohne«. Nach drei Tagen ununterbrochen schönen Wetters zog nun Nebel
auf. Der Wind trieb die Schwaden aus dem Park und die Straße hinunter, die
Fußgänger schlugen ihre Kragen hoch und machten sich auf den Heimweg.
Gerry hatte dieselbe karierte Jacke an
wie am Sonntag, er verkroch sich förmlich darin. Die Hände tief in den Taschen
vergraben, mit vorgebeugtem Kopf, sah er aus, als ob er auf der Straße nach
Münzen suchte. Ich hatte das Gefühl, daß die übergroße Jacke an diesem Abend
weniger Ausdruck seines Modebewußtseins war als vielmehr eine Schutzhülle, in
die er sich vor den Gefühlsstürmen um ihn herum zurückziehen konnte. Es war
unmöglich, zu erkennen, was er fühlte oder dachte; seine niedergeschlagene
Körperhaltung stand im krassen Gegensatz zu dem kleinen Lächeln, das ständig um
seine Lippen spielte.
In der »Kaffeebohne« war die Luft warm
und dämpfig. Es roch nach einer eigenartigen Mischung verschiedener
Kaffeesorten, von denen keine die anderen überlagerte. Ich studierte
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