Dieser Sonntag hat's in sich
die
Schiefertafel, auf der die Spezialitäten des Tages aufgeführt waren. Für mich
ist Kaffee Kaffee — manchmal gut, oft schlecht, meist mittelmäßig. Diese
Vielfalt von Röstarten, Mischungen und Herkunftsbezeichnungen verwirrte mich.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich für die kenianische Rundbohne entschied — einfach
deshalb, weil mir der Name gefiel. Gerry bestellte eine New-Orleans-Mischung,
worauf ihn der Angestellte warnte, daß diese Sorte extrem viel Zichorie
enthalte. Das schien ihm zu gefallen; möglicherweise fand er etwas Bitteres für
die gegenwärtige Situation recht passend.
Wir trugen unsere Becher zu einem Tisch
an einem Erkerfenster mit Blick auf die Straße. Ich zog meine alte
Wildlederjacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Gerry behielt seine
Jacke an; er knöpfte sie nicht einmal auf. Er nahm einen Schluck von seinem
Kaffee und verzog sein Gesicht. Ich probierte meinen: er schmeckte eigentümlich,
leicht sauer, aber dennoch weich und weinähnlich. Ich war mir nicht sicher, ob
ich den Geschmack mochte oder nicht.
»Wie geht es Vicky?« fragte ich.
Die Bewegung, die sich unter den Falten
seiner Jacke abzeichnete, interpretierte ich als Achselzucken. »Sie hat sich im
Badezimmer verbarrikadiert, als wir gingen. Dort ist ein Telefon, ich nehme an,
daß sie vorhat, ihre Therapeutin anzurufen.«
»Sie ist in Therapie?«
»Wenn man das so nennen kann. Sie geht
seit acht Jahren zu dieser Frau; bisher ohne sichtbaren Erfolg. Ich glaube, sie
macht ihr was vor. Ich weiß, daß sie ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt.«
»Woher wissen Sie das?«
»Vicky erzählt mir haarklein von ihren
Sitzungen. Zum Beispiel: Sie hatte die Therapie ursprünglich begonnen, weil
unsere Beziehung nicht all ihre Erwartungen erfüllte, aber sie wollte sich auch
nicht von mir scheiden lassen. Zwei geschlagene Jahre lang saß sie im
Sprechzimmer dieser Frau und sprach über alles mögliche, bevor sie das
eigentliche Problem überhaupt einmal erwähnte.«
»Ist das so ungewöhnlich?« fragte ich
und dachte daran, wie Hank um den heißen Brei herumschlich.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht nicht.
Ich halte nichts von Therapie.«
Ich auch nicht — zumindest nicht für
meine eigene Person. Der Gedanke, daß ich einem Fremden gegenüber mein Inneres
nach außen stülpen sollte, war für mich unerträglich. »Ich würde vermutlich
auch lügen«, sagte ich. »Therapeuten wirken so... unnahbar, daß ich Angst
hätte, man würde über mich zu Gericht sitzen. Ich würde wohl versuchen, mich
vorteilhafter darzustellen, als ich es in Wirklichkeit bin.«
»Ich vermute, das ist auch Vickys
Problem. Aber das ist doch ein Witz: Sie will einen guten Eindruck machen bei
jemandem, den sie fürs Zuhören bezahlt, und gleichzeitig ist sie nicht in der
Lage, sich vor ihren Kindern zusammenzunehmen. Sie werden einmal großartige
Erinnerungen an ihre Mutter haben, wenn sie älter sind: betrunken oder bekifft,
brüllend oder mit Gegenständen um sich werfend. Ich habe auch meine Probleme.
Aber ich habe immer versucht, meine Kinder da rauszuhalten.«
»Viele Leute haben eine schlimmere
Kindheit erlebt als Lindy oder Betsy. Die beiden sind okay, sie werden es
überleben, und wahrscheinlich sogar daran wachsen.«
»Ja, aber sie werden nicht mehr lange
damit leben müssen.« Das unheimliche kleine Lächeln spielte wieder um seinen
Mund. »Ich lasse mich scheiden und beantrage das Sorgerecht für die Kinder.
Mein Rechtsanwalt sagt, daß ich bei Vickys Verfassung gute Aussichten habe.«
Das überraschte mich nicht. »Hat das ihren
heutigen Anfall ausgelöst?«
»Das und anderes.«
»Wie Irene Lasser?«
Er seufzte. »Ich habe mich schon
gefragt, wann Sie Ihre geheuchelte Besorgnis um Vicky aufgeben und zur Sache
kommen würden. Irene hat mir erzählt, daß Sie sie aufgespürt und gezwungen
haben, mit Ihnen zu reden.«
Ich wurde wütend. Langsam nahm ich
einen Schluck Kaffee, um Zeit zu gewinnen, meine Gefühle unter Kontrolle zu
bringen. »Erstens ist meine Besorgnis um Vicky nicht geheuchelt. Ich sehe
niemand gerne in einer solchen Verfassung. Mir ist zwar klar, daß ihr nur ein
Therapeut wirklich helfen kann, aber ich stehe zur Verfügung, wenn sie mit
jemandem reden möchte oder wenn sie jemanden braucht, der ihre Hand hält.
Zweitens habe ich Irene nicht gerade ›gezwungen‹, mit mir zu sprechen. Sie
schien am Ende verdammt froh zu sein, daß sie mit jemandem reden konnte.«
»So hat sie mir das nicht
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