Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
letzte Mal ins Krankenhaus musste, hatte ich auch eine halbe Lungenentzündung. Was, wenn das nächste Mal die andere Hälfte dazu kommt? Ich krallte mich an Mama und schloss die Augen. Maike und Vinnie umarmten sich. Meine Schwester war auch da. Sie saßen auf einer lila Wolke und tranken Tee. Niemand von ihnen sah traurig aus. Ich war es auch nicht mehr. »Jetzt geht es mir endlich gut«, flüsterte Vinnie mir zu, und ich lächelte. Als ich meine Augen wieder öffnete, wischte sich Mama gerade mit einem Taschentuch ihre Tränen aus dem Gesicht. Sie weinte schon den ganzen Abend. Ich richtete mich auf und umarmte sie.
»Mama«, sagte ich schnell, um sie zu beruhigen. »Sei bitte nicht mehr traurig und hab keine Angst. Alles wird gut.«
Dann kuschelten wir so lange, bis unsere Augen schwer wurden. Ich sah es genau vor mir: Eines Tages wird Ester früh am Morgen das Hospiz betreten, die Kaffeemaschine anstellen und mit Bohnen füllen, den Computer in ihrem Büro hochfahren und mein Bild von der einen Wand an die andere umhängen. Eine Kerze wird für mich angezündet, und wenn sie erlischt, wird ein neues Kind meinen Platz einnehmen. Und nach ihm ein neues und wieder ein neues. Es wird immer so weitergehen, bis auch Ester eines Tages in den Himmel fliegt. Ich verstehe das Leben nicht. Geht es wirklich nur darum, einen Platz auf der Welt zu bekommen und ihn dann, wenn man stirbt, an ein neues Leben weiterzugeben? Mama fing an zu schnarchen, und ich ging rüber in mein Bett. Morgen war wieder Schule.
Vinnie war tot, und ich musste mich ablenken. Ich dachte an nackte Weiber und wie ich mit ihnen Sex hatte. Aber mit den erwachsenen Mädchen, die ich über Lars kannte, klappte das irgendwie nicht. Ich hatte Tara gefragt, ob sie meine feste Freundin sein wollte, aber sie sagte, sie sei viel zu alt für mich, und ich sagte: »Okay.«
In der ersten großen Pause lief ich durch den großen Spielraum und sah Layla, wie sie ganz alleine auf einer Bank am Fenster saß.
Ich ging auf sie zu und sagte: »Hi.«
Sie schaute zu mir auf und sagte: »Hi Daniel.«
Ich fragte: »Darf ich mich neben dich setzen?«
Und sie sagte: »Ja.«
Mit Layla wollen die meisten Kinder auch nicht spielen. Sie ist sehr einsam in ihrem Herzen, auch nach der Schule, wenn sie alleine zu Hause ist. Ich erkenne das in ihren Augen. Layla hat wunderschöne Augen. Es tat mir weh, dabei zusehen zu müssen, wie es ihr in den letzten Monaten nicht gutging, aber ich konnte nicht mehr zurück zu ihr, weil sie mich zu oft verletzt hatte. Lars hatte einmal zu mir gesagt, man müsse den Menschen, die einmal fies und gemein zu einem waren, irgendwann verzeihen. Das wäre oft nicht einfach, aber man würde sich danach immer besser fühlen. Ich dachte: Neues Jahr, neues Glück!
»Layla«, begann ich und holte tief Luft. »Also, ich wollte dir sagen, dass ich, also, dass ich dir verzeihe.«
»Is’ okay«, gab sie als Antwort und wippte mit den Beinen. Layla hat schöne lange Beine.
Ich wippte jetzt auch mit den Beinen, und manchmal wippten wir sogar synchron im Takt.
»Lass uns vergessen, was war und noch einmal ganz von vorne anfangen. Was denkst du?«
Sie überlegte einen Moment und sagte: »Okay.«
Sie nahm meine Hand und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Als sie sich dann sogar bei mir entschuldigte, war meine Welt wieder in Ordnung. Bis zur nächsten großen Pause.
Ich beobachtete Kevin, wie er mit Layla sprach. Mein Herz begann zu rasen, weil ich ja wusste, dass er in sie verliebt war. Jeder in der Schule wusste das. Ich überlegte schon, ihm eine in die Fresse zu schlagen, aber ich hatte so etwas noch nie getan. Mir blieb keine Zeit, um mir darüber Gedanken zu machen. So schnell ich konnte, lief ich den Gang entlang. Als ich völlig außer Puste vor seinem Rollstuhl stand, hörte ich Layla sagen: »Du braucht dir keine Hoffnungen machen. Ich bin mit Daniel zusammen. Ich liebe ihn. Und jetzt, zisch ab!«
Jetzt war es offiziell. Layla und ich waren wieder ein Paar, und ich war fest entschlossen, ihr noch eine Chance zu geben.
Zu Hause erzählte ich Mama davon. Sie war alles andere als begeistert und erinnerte mich an die vielen Tränen, die ich wegen Layla vergossen hatte. Ich versuchte ihr zu erklären, dass wir doch jetzt in einem neuen Jahr lebten und man die Vergangenheit begraben sollte, aber sie stampfte nur wild mit den Füßen. Als sich ihr Ärger wieder verzogen hatte, setzte ich mich neben sie auf die Couch.
»Morgen ist Samstag.
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