Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
machen?«
»Na, was wohl? Ansprechen!«
»Echt?«
»Was denn sonst?«
Ich lachte ihn aus, weil er von alleine gar nicht erst auf die Idee gekommen wäre, und fragte mich, wer von uns beiden hier das Kind war. Ich wartete noch auf den passenden Moment. Als das Mädchen unter einer Laterne stand, machte ich schnell ein paar Schritte auf sie zu.
»Hallo«, sagte ich.
»Hi«, sagte sie.
»Ich bin Daniel.«
»Sofie.«
»Du bist richtig schön.«
»Danke.«
»Hast du jetzt Zeit?«
»Nein.«
»Und morgen?«
»Nein.«
Und übermorgen.«
»Nein.«
Dann zog sie hastig an der Leine ihres Hundes und verschwand im Haus. Es war übrigens ein Labrador. Lars stand an der Ecke und applaudierte.
»Was denn?«, sagte ich. »Hätte doch auch klappen können.«
»Ey, ich sag doch gar nichts. Du hast das genau richtig gemacht. Nicht lange überlegen. Einfach ansprechen.«
Dann klingelte ich an unserer Haustür und drückte ihn ganz fest an mich. Dieser Abend war so schön. Lars war da. Alles war gut. Bis der Schwächeanfall kam.
Ich war so aufgedreht, dass ich wie ein Wahnsinniger brüllend und lachend durch die Wohnung rannte. Ich merkte, wie ich immer schwächer wurde, aber anstatt mich auszuruhen, machte ich es mit meiner Toberei nur noch schlimmer. Als ob mich eine unsichtbare Kraft immer weiter anschieben würde. Die Ärzte sagen, dass liege an einem der drei Blutgerinnsel in meinem Kopf, von dem sie noch nicht wissen, woher es kommt und was es auslöst. Mama und Papa saßen auf dem Sofa und sahen fern. Lars lag mit seinem Laptop im Gästezimmer. Ich schaffte es gerade noch ins Bad, um mich zu übergeben. Mama eilte sofort zu mir, um mir Halt zu geben. Wenn ich kotzen muss, kommt wegen meines Magenverschlusses nur ekliger Gallensaft aus meinem Mund. Das schmeckt widerlich und ist kein schönes Gefühl. Und weil Gallensaft ausspucken richtig anstrengend für mein Herz ist, bin ich danach immer sehr wackelig auf den Beinen. Lars stand im Flur. Zum ersten Mal sah er mich in diesem Zustand. Mama fragte, ob draußen irgendwas passiert sei, und Lars sagte, dass wir nur spazieren waren. Er warf mir einen sorgenvollen Blick zu, und ich schaffte es, für einen kurzen Moment zu lächeln. Damit wollte ich ihm ein Zeichen geben, dass ich unser Geheimnis nicht verraten, dass ich durchhalten würde. Dann würgte ich den letzten Rest Gallensaft aus und fiel erschöpft ins Bett.
Mama brachte mir einen Tee. Sie war noch immer sauer auf mich wegen der Sache im Krankenhaus. Ich sagte ihr, dass sie die beste Mama der Welt sei. Sie knuddelte mich und sagte: »Hab dich ja auch lieb, du kleiner Scheißer.«
»Darf ich noch Chips?«, fragte ich.
»Du spinnst wohl, Freundchen! Eben noch gekotzt und jetzt wieder Chips? Du schläfst jetzt!«
Immer wenn es mir bessergeht, vergesse ich die schlimmen Dinge sofort wieder. Aber zum Glück habe ich Mama, die mich daran erinnert. Ich wartete noch einen Augenblick, dann gab ich Lars ein Klopfzeichen durch die Wand. Wir hatten das vereinbart. Er klopfte zurück und kam noch kurz an mein Bett, um gute Nacht zu sagen.
»Na, geht’s dir besser?«
»Ja«, sagte ich.
»Okay, dann träum was Schönes.«
»Nein, bleib noch.«
Ich hatte meine Hände unter der Decke und fummelte an meinem Penis herum. Lars bemerkte das nicht, weil ich ja oben im Hochbett lag. Dann sagte ich: »Zeigst du mir deinen Schwanz, wenn er hart ist?«
Lars fing an zu lachen und antwortete: »Gute Nacht!«
Dann ging er aus dem Zimmer, kam aber kurz wieder und grinste: »Und Hände über die Decke!«
Wenigstens hatte ich gefragt. Ich hatte so etwas ja noch nie in echt gesehen, und Mama konnte ich nicht fragen, weil sie ja eine Frau ist. Und Muh auch nicht, weil sie eine Kuh ist.
6
Am nächsten Tag musste Mama arbeiten, aber dafür hatte Papa frei. Lars schlief lange und kam erst um halb zwölf mit müden Augen aus seinem Zimmer gekrochen. Ich hatte schon ein paar Mal heimlich durch sein Schlüsselloch gelinst, aber Mama erlaubte mir nicht, ihn zu wecken. Um ein Uhr wurden wir von Annika und Bernd abgeholt. Lars kam nicht sofort mit nach oben ins Hospiz. Er sagte, er brauche noch einen Moment für sich und wollte bei Giuseppe einen Espresso trinken. Ich fragte ihn, ob wir den Moment gemeinsam verbringen könnten, aber Annika wollte mir unbedingt das Stricken beibringen, und weil ihre Augen so schön strahlten, konnte ich ihr nicht widersprechen und begann, meinen ersten Schal zu stricken.
Nach 25 Minuten kam Lars und
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