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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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setzte sich neben mich an den Tisch und sah mir zu. Es klappte schon ganz gut, und es machte mir wirklich großen Spaß, aber ich schämte mich auch ein bisschen dafür, weil Stricken ja eigentlich Weiberkram ist. Jedenfalls sagen das alle. Diese Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen sind ganz schön verwirrend. Ich mag nämlich auch Puppen. Wenn ich alleine in meinem Zimmer bin und Berlin – Tag & Nacht gucke, kämme ich Anna, so heißt meine Puppe, oft durch ihre blonden Haare oder flechte ihr einen Zopf. Das beruhigt mich. Wenn Mama sich neue Unterwäsche kaufen will, nimmt sie mich auch oft als Assistenten mit, weil sie auf meinen guten Geschmack vertraut. Das ist wirklich so. Ich bringe ihr nur die schönsten Teile in die Umkleidekabine, mit Rüschen und Spitzen. Papa freut das auch. Oder wenn wir an einem Juweliergeschäft vorbeikommen, bleibe ich jedes Mal am Schaufenster stehen und suche mir den schönsten Ring aus. Es sind immer Ringe. Keine Ahnung, warum ich die so mag. Mama sagt, dass nur Mädchen solche Ringe tragen, aber ich habe auch schon Jungs mit ihnen gesehen, dieser Karl Lagerfeld zum Beispiel. Das ist ein Modedesigner mit schwarzer Sonnenbrille und weißen Haaren. Hinten hat er sie zu einem Zopf gebunden. Ich erkenne auch sofort, ob jemand schwul ist. Ich sehe das einfach. Als ob ich dafür einen eingebauten Radar hätte. Es ist ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann. Ich mag Schwule. Wenn ich einen sehe, muss ich lächeln. Dann frage ich mich: Bin ich vielleicht auch schwul? Einmal, als wir durchs ELBE-Einkaufszentrum liefen, habe ich diesen Gedanken mit Mama geteilt, und sie sagte: »Ob du schwul oder hetero bist, ist mir so was von egal. Ich liebe dich so oder so, weil du mein Sohn bist.« Das war mir so unendlich peinlich. Ich schämte mich volle Kanne und sagte in aller Deutlichkeit: »MAMA, ICH BIN NICHT SCHWUL.«
    Ein anderes Mal beobachtete ich, wie sich zwei erwachsene Männer auf der Straße küssten. Ich rief sofort »Igitt« in ihre Richtung und versteckte mich hinter Mamas Rücken. Dabei fand ich das gar nicht so schlimm. Trotzdem drehte ich mich weg. Voll blöd eigentlich, ich weiß. Dann sah ich eine hübsche Handtasche und blieb vor einem Schaufenster stehen. Mama lachte mich aus und sagte: »O Mann, Daniel, als ob das nicht schwul ist!«
    Das ist alles so verwirrend. Vielleicht liegt es ja an meiner Mädchenrippe? Ich meine, dass ich mich so für Mädchensachen interessiere. Ich gehe auch gerne zum Friseur, lasse mir die Augenbrauen zupfen und liebe es, den Frauen dabei zuzusehen, wie sie ihre Nägel lackiert bekommen. Mama erklärte mir das mit der Mädchenrippe so: Wenn Mädchen auf die Welt kommen, haben sie eine Rippe mehr als Jungs. Da ich aber genauso viele Rippen besitze, wie ein Mädchen, wollte der liebe Gott aus mir wahrscheinlich zuerst ein Mädchen machen, hat sich aber in letzter Sekunde umentschieden und dabei vergessen, diese eine Rippe wieder rauszunehmen. Deswegen bin ich eben an manchen Tagen mehr Mädchen als Junge. Keine Ahnung. Ich finde einfach, dass ich bloß ein ganz normales Kind bin, das gerne Chips futtert und abends lange aufbleiben möchte.

    Lars hatte mir beim Toben erzählt, dass wir später zusammen mit Mama und Papa zu Abend essen würden – in einem Restaurant. Es gäbe etwas zu feiern, flüsterte er mir geheimnisvoll ins Ohr, aber so sehr ich auch quengelte, er wollte es mir nicht verraten. Als ich in Franzis Büro auf den Kalender schaute und dort »Donnerstag, 11. Oktober« stand, ging mir natürlich ein Licht auf. Heute war mein Namenstag! Es ist nämlich so: Immer, wenn der Tag, an dem ich eine große Operation überstanden habe, sich jährt, wird mein Namenstag gefeiert. Und heute war so ein Tag. Ich klatschte vor Freude laut in die Hände. Ja, das musste der Grund sein. Ich hatte das Geheimnis gelüftet. Ganz alleine, ohne fremde Hilfe.
    Als wir nach Hause kamen, blieben wir für einen Moment vorn an der Hauptstraße stehen, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Also, Lars blieb stehen. Und weil er stehen blieb, blieb ich auch stehen. Der Himmel über den Bäumen und Hausdächern war richtig dunkelrot. Voll schön. Nach einer Minute wurde mir aber langweilig, weil es außer der schönen Farbe nichts zu sehen gab. Papa erwartete uns schon. Ich sah ihn in freudiger Erwartung an, aber es kam nichts zurück.
    »Willst du mir nicht gratulieren?«, fragte ich schon leicht angefressen, aber er sah mich ganz eigenartig an und lachte

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