Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
nur. Seine Nase war fast so rot wie der Abendhimmel, und ich musste mich schwer zusammenreißen, um nicht durchzudrehen. Wie konnte er nur meinen Namenstag vergessen? Mama rief auf meinem Handy an und sagte, dass sie mit dem Bus direkt von der Arbeit zum Restaurant kommen würde und dass wir schon losgehen sollten. Fünfzehn Minuten später waren wir da. Wir mussten ja nur der Hauptstraße folgen, bis runter zu Lidl, und kurz vorher links abbiegen. Als Strafe, weil er meinen Namenstag vergessen hatte, durfte Papa im Restaurant nicht neben mir sitzen. Ich warf schnell meine Jacke auf den Stuhl an der Heizung und sagte: »Der ist für meinen großen Bruder reserviert.«
Wir setzten uns. Mama hatte gute Laune. Papa bestellte sich ein großes Bier, Mama einen lieblichen Wein, Lars eine große Flasche Sprudelwasser und ich ein Ginger Ale.
»Annika hat mir heute beigebracht, wie man strickt«, sagte ich stolz. »Ich habe angefangen, einen richtigen Schal zu stricken. In grün. Aber ich habe noch nicht entschieden, wer ihn als Geschenk bekommt. Das überlege ich noch. Papa kriegt ihn aber nicht.«
»Ich will ihn auch gar nicht«, sagte er, und ich streckte ihm die Zunge raus.
Die Kellnerin kam an unseren Tisch und brachte drei Gläser, gefüllt mit Sekt. Da auf der Karte kein Kindersekt stand, bekam ich ein leeres Sektglas und füllte es zur Hälfte mit Mineralwasser auf.
Wir stießen an, und Mama sagte: »Lieber Daniel, wir sind heute hier, weil Lars eine Überraschung für dich hat. Möchtest du sie hören?«
Lars lächelte mich an, aber ich winkte gelangweilt ab.
»Ich weiß doch, warum wir feiern«, sagte ich. »Ich habe Namenstag. Deswegen sind wir hier. So, jetzt können wir zu essen bestellen. Ich habe Hunger!«
Lars schaute zu Mama, Mama zu Papa und Papa zur mir. Dann sagte Papa: »Du hast heute Namenstag? Davon weiß ich ja gar nichts.«
»Ich wusste es«, schrie ich ihn an. »Du hast meinen Namenstag vergessen, du Honk. Ich hasse dich!«
In meinem Kopf wurde es neblig. Nicht nur Papa, auch Mama hatte meinen Namenstag vergessen. Wie konnten sie mir das nur antun?
Mama sagte: »Daniel, wir sind hier, weil Lars dir eigentlich mitteilen wollte, dass er ab sofort jede Woche aus Berlin kommen wird, um für dich da zu sein. Aber du hörst ja gar nicht zu.«
»Ihr habt meinen Namenstag vergessen«, schrie ich sie an. Immer und immer wieder. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Das Gefühl war so schlimm in meinem Kopf. Ich wollte nicht, dass meine Eltern mich vergaßen. Warum dachten sie nicht an mich?
»Was denn für ein Namenstag?«, wiederholte Papa, aber weil ich so traurig und enttäuscht darüber war, hörte ich ihm gar nicht mehr zu, streckte nur noch meine Zunge heraus und hielt mir die Ohren zu. Mama wurde sauer und zeigte mit dem Finger auf mich.
»Martin kann nicht an alles denken, Daniel. Er sorgt dafür, dass du etwas zu essen bekommst, bezahlt unsere Miete und alle Rechnungen. Er reißt sich jeden Tag auf der Arbeit den Arsch für uns auf und von dir kommen nur Beleidigungen!«
Dann fing Mama an zu weinen.
»Ich halte das nicht mehr aus«, sagte Papa und ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen.
»Papa hat recht«, schniefte Mama in ihr Taschentuch. Ihre Stimme klang ganz zittrig. »Du hast ja gar keine Ahnung, was er alles für dich tut und worauf er wegen dir alles verzichtet.«
Das wusste ich wirklich nicht. Aber er hatte meinen Namenstag vergessen, und das war unverzeihlich. Ich hörte zwar, wie Mama noch aufzählte, dass Martin jeden Rettungswagen, alle Medikamente und Süßigkeiten für mich bezahlte, aber mir war das egal. Lars war mir auch egal. In dem Moment war mir ALLES egal.
»Papa ist mir scheißegal«, brüllte ich und schlug wild auf den Tisch.
Die anderen Gäste schauten schon zu uns rüber, und Mama wurde jetzt richtig böse auf mich.
»Shut up!«, zischte sie über den Tisch. »Watch your mouth!«
Ich streckte auch ihr die Zunge raus.
»Was ist denn heute nur los mit dir?«
»Mama, halt deine verdammte Klappe!«
»Wie bitte?«
Der Nebel wurde dichter und dichter, und ich zeigte Mama meinen rechten Stinkefinger.
»Ach so ist das! Weißt du, wenn dir alles scheißegal ist, dann ist es mir auch scheißegal, wenn du das nächste Mal umfällst. Ich rufe dann jedenfalls keinen Rettungswagen mehr.«
In dem Moment kam Papa vom Rauchen zurück und sagte: »Ich auch nicht.«
Dann sprachen wir alle eine ganze Weile gar nichts. Papa regte sich fürchterlich
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