Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Papa gemütlich.
»Ich möchte nicht nach Hause«, sagte ich leise, aber ich wusste ja schon, dass Träume nicht ewig halten. Vor allem, wenn man am nächsten Tag Schule hat.
16
Mein Herz ließ mich wieder im Stich. Ich hatte so wenig Kraft in den Knochen, dass ich während des Englischunterrichts einfach einschlief. Mein Lehrer hatte vergeblich versucht mich zu wecken. Als ich meine Augen wieder öffnete, lag ich auf dem Sofa meines Klassenzimmers und war klatschnass geschwitzt. Zuerst wusste ich nicht, wo ich mich befand, aber als ich die gewohnten Stimmen der anderen Kinder hörte, von denen mich einige wieder auslachten, kam ich ziemlich schnell in die Realität zurück. Später im Hospiz schaffte ich es kaum, mich länger als ein paar Minuten auf den Beinen zu halten und döste den ganzen Nachmittag immer wieder ein. Zu Hause legte ich mich ohne Abendbrot ins Bett. Ich hatte keinen Hunger. Mein Magen tat weh, und die fiesen Herzstiche melden sich zurück. Es tat so weh. Wieso konnten die Schmerzen nicht aufhören? Mama setzte sich zu mir und hielt so lange meine Hand, bis ich eingeschlafen war. Dann ging sie ins Wohnzimmer, um zu weinen. Ich weiß das, weil meine Mama jede Nacht weint. Und damit meine ich wirklich jede Nacht. Sie sitzt auf ihrem Platz auf dem Sofa, liest sich diese Geschichte durch, die auf einem zusammengefalteten Zettel steht, und weint. Wegen mir. Ich wusste lange nicht, was dort geschrieben steht, weil ich ihn beim Detektivspielen nie gefunden hatte, bis ich am nächsten Tag zufällig darauf stieß. Der Zettel lag unter Mamas Kopfkissen. Wenn Rocky dort nicht herumgehüpft wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich nie in die Finger bekommen. Ich steckte ihn schnell in meine Hosentasche, nahm meine Katze unter den Arm, schlich auf leisen Zehen in mein Zimmer, verriegelte die Tür, setzte mich an meinen Schreibtisch und begann zu lesen.
»Weit von der Erde entfernt fand eine Versammlung statt.
Es ist wieder Zeit für eine Geburt, sagten die Engel.
Ich weiß, antwortete Gott. Und diesmal ist es ein besonderes Kind, das viel Liebe und Fürsorge benötigen wird von den Menschen, die es dort unten treffen wird. Es kann nicht laufen, lachen oder spielen wie andere. Von vielen Mitmenschen wird es nicht warmherzig aufgenommen, und es wird als behindertes Kind immer benachteiligt sein. Also lasst uns vorsichtig sein, wohin wir es senden. Wir wollen, dass sein Leben glücklich und zufrieden wird.
Bitte, Gott, finde die Eltern, die diese schwere Aufgabe für dich erledigen können, warfen die Engel ein.
Ich habe sie schon gefunden, lächelte Gott. Und dieser Mutter gebe ich ein behindertes Kind.
Und ein Engel fragte: Warum gerade ihr, o Herr? Sie ist doch so glücklich!
Eben deswegen, antwortete Gott. Kann ich einem behinderten Kind eine Mutter geben, die das Lachen nicht kennt? Das wäre grausam.
Aber hat sie denn die nötige Geduld?, fragte der Engel.
Ich will nicht, dass sie zu viel Geduld hat, sonst ertrinkt sie in einem Meer von Selbstmitleid und Verzweiflung. Wenn der anfängliche Schock und die erste Verzweiflung abgeklungen sind, wird diese Mutter ihre Aufgabe bravourös meistern. Ich habe sie heute beobachtet. Sie hat Sinn für Selbständigkeit und Unabhängigkeit, was bei Müttern so selten, aber so nötig ist. Das Kind, das ich ihr schenken werde, wird in seiner eigenen Welt leben. Und sie muss es zwingen, in der ihren zu leben, was nicht leicht werden wird. Nein, sie ist hervorragend geeignet. Sie besitzt genügend Egoismus.
Der Engel rang nach Luft.
Egoismus? Ist das denn eine Tugend?
Gott nickte.
Wenn sie sich nicht gelegentlich von ihrem Kind trennen kann, wird sie das alles nicht überstehen. Diese Frau ist es, die ich mit einem nicht vollkommenen Kind beschenken werde. Sie weiß es zwar noch nicht, aber sie ist zu beneiden. Nie wird sie ein gesprochenes Wort als etwas Selbstverständliches hinnehmen. Nie ist ein einfacher Schritt etwas Alltägliches. Wenn ihr Kind zum ersten Mal Mama sagt, sei es auch nur mit den Augen, wird ihr klar sein, dass sie ein Wunder erlebt. Ich werde ihr erlauben, alles deutlich zu erkennen, was ich auch erkenne – Unwissenheit, Grausamkeit, Vorurteile –, und ich werde ihr erlauben, sich darüber zu erheben. Sie wird niemals allein sein. Ich werde bei ihr sein, an jedem Tag ihres Lebens, weil sie meine Arbeit ebenso sicher tut, als sei sie hier oben neben mir.
Und wen bekommt sie als Schutzheiligen zugewiesen?, fragte der Engel mit gezückter
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