Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
kalten Pommes nach der Frau werfen, aber Tamtam verbot es ihm. Das fand ich gut. Tamtam und ich hielten zusammen. Als die Bedienung an unseren Tisch kam, um abzuräumen, schob Tamtam unsere leeren Gläser zusammen und wollte ihr dabei helfen. »Das schaff ich schon alleine«, reagierte die Kellnerin darauf patzig. Lars und Tamtam guckten sich verwundert an, und ich sagte zu Tamtam, dass sie nicht böse auf die Frau sein solle. Sie sah sehr traurig aus. Ihre Augen waren ganz leer, und ich konnte ganz viel Einsamkeit darin erkennen. Die arme Frau. Sie tat mir so leid. Wir waren ab sofort ganz freundlich zu ihr, und jedes Mal, wenn sie an unserem Tisch vorbeikam, schenkten wir ihr ein Lächeln. Ich bat Lars, ihr ganz viel Trinkgeld geben. Wenn man sieht, dass es unseren Mitmenschen nicht gutgeht, sollte man erst recht lieb zu ihnen sein, damit die Wunden in ihren Herzen schnell wieder heilen.
Das hübsche Mädchen an der Hotelrezeption lächelte Lars wieder so eigenartig an. Tamtam machte mich darauf aufmerksam, und wir gingen extra langsam zum Aufzug, um Lars zu beobachten. Er lächelte zurück, und sie schob sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und schaute auf den Boden. Tamtam erklärte mir, dass Mädchen diese Bewegung machen würden, wenn sie jemanden toll finden. Ich verstand das nicht. Die Mädchen in meiner Schule fummeln sich permanent an ihren Haaren herum. Alle Mädchen machen das. Außer die Mädchen auf der Kinderkrebs-Station. Die haben ja keine Haare mehr. Die können nicht mehr zwirbeln. Aber das Mädchen im Hotel konnte das ganz gut. Tamtam lachte Lars aus, weil er sich nicht traute, sie anzubaggern, und ich lachte mit. Lachen macht so viel Freude, auch wenn das für mein Herz immer sehr anstrengend ist. Als wir wieder in unserer Suite waren, lag plötzlich ein Stück Schokolade auf meinem Kopfkissen mit einem Schild, auf dem stand: Gute Nacht, Daniel. Daneben saß ein Schaf. Kein echtes natürlich, sondern ein süßes Plüschtier. So könnte es immer sein, dachte ich, und ließ mich in die weichen Kissen fallen.
Später am Abend rief ich zwei Mal beim Zimmerservice an, um frische Eiswürfel für meinen alkoholfreien Sekt zu bestellen. Nach dem ersten Anruf klopfte ein Mann und nach dem zweiten Anruf eine Chinesin an unsere Tür. Die Chinesin war hübsch, aber anders hübsch, so chinesisch hübsch.
»Wollen wir Mama und Papa spielen?«, fragte ich Tamtam, die schon im Badezimmer war, um sich fürs Schwimmbad umzuziehen. Ich hatte meinen eigenen Bademantel dabei. »Ihr seid Mama und Papa, und ich spiele euren Sohn. Das wird voll lustig.«
»Ach, das kann ja was werden«, lachte sie.
»Also, wie willst du heißen?«, fragte ich.
»Ähh, Mama?«
»Nein, du brauchst einen richtigen Vornamen für das Spiel.«
Tamtam zeigte auf Lars und sagte: »Du bist Andreas.«
»Der Andy«, lachte Lars.
»Und wie heiße ich?«, fragte Tamtam.
»Vanessa«, schlug ich vor.
»Okay, jetzt brauchen wir nur noch einen Namen für dich«, sagte Lars. »Wie wär’s mit Timmy?«
»Nein.«
»Stefan.«
»Nein, nicht Stefan«, protestierte Tamtam.
»Tom«, versuchte es Lars weiter, und ich lehnte wieder ab.
»Paul.«
»Nein.«
»Simon.«
»Nein.«
»Thomas.«
»Nein.«
»Mario.«
»Mutti, welchen Namen findest du denn schön?«, fragte ich Tamtam.
»Simon ist bislang der einzige Name, den ich schön finde.«
»Igitt«, keuchte ich und schaute wieder zu Lars.
»Robert … Eric … Fritz.«
Ich zeigte ihm bei jedem Vorschlag den Vogel. Fritz – was sollte das denn für ein Name sein?
»Ben«, schlug Tamtam vor, aber ich schüttelte wieder mit dem Kopf.
»Ich hab’s«, grinste Lars. »Luca.«
»Ja«, grinste ich zurück. Luca, so wie Luca Hänni, mein Lieblingssänger. »Mama, Papa, eure Luca ist jetzt bereit für sein Wellnessprogramm.«
»Natürlich, eure Hoheit«, lachte Tamtam.
Das Schwimmbad sah ein bisschen wie eine Piratengrotte aus. Das Wasser war schön warm und leuchtete grün. Lars nahm mich beim Schwimmen huckepack, weil ich es alleine nicht so gut schaffte, aber nach zwei Minuten wurde mir so kalt, dass wir in die Dampfgrotte gingen. Hier konnte sich mein Körper wieder aufwärmen. Außer uns saß dort noch eine fremde Frau. Als Lars den Wasserschlauch nahm und Tamtam und mich damit abspritzte, quietschten wir laut und rächten uns, indem wir den Wassereimer auf ihn schütteten. Das war witzig. Für uns. Die arme Frau schüttelte nur mit dem Kopf und flüchtete in die Sauna auf der
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