Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Feder.
Da lächelte Gott.
Ein Blick in den Spiegel wird genügen.«
Ich brauchte fast eine halbe Stunde, um die Geschichte zu lesen. Ich musste aber nicht weinen, so wie Mama, und faltete den Zettel wieder zusammen und schob ihn unter ihr Kopfkissen zurück.
17
Die Novembertage wurden kälter und kälter. Lars hatte dieses Mal nur eine kleine Sporttasche vom FC Bayern München dabei, nicht wie sonst, seinen großen Rollkoffer. Borussia Dortmund spielte heute in der Champions League gegen Real Madrid. Vielleicht deswegen. Außerdem wurde heute der Name des neuen Präsidenten von Amerika bekannt gegeben. Für mich spielte weder das eine noch das andere eine Rolle. Ich bin kein Fan von Dortmund und von den USA auch nicht. Papa auch nicht. Er zockte den ganzen Abend PlayStation. Davon sind wir beide große Fans. Ich klopfte an Lars’ Tür und öffnete sie. Er lag mit seinem Laptop auf dem Bett und hörte leise Musik.
»Darf ich reinkommen?«, fragte ich.
»Klar, darfst du reinkommen«, sagte Lars. »Das musst du nicht immer fragen.«
»Mama hat gesagt, ich soll dich in Ruhe lassen, weil du so eine anstrengende Fahrt durch die Kälte hinter dir hast.«
»Keine Sorge, ich schmeiß dich schon raus, wenn du mir auf den Sack gehst.«
Das fand ich witzig, und ich grinste ein bisschen. Lars machte mir auf dem Bett Platz. Ich setzte mich neben ihn und lehnte mich gegen die Wand. Er sah müde aus. Seine Augen waren ganz rot, und ich machte mir Sorgen um ihn. Ich muss besser auf meinen großen Bruder aufpassen, sagte ich mir, aber wie konnte ich das anstellen? Ich sah zu ihm rüber, aber er starrte auf seinen Bildschirm.
»Was hörst du da?«, fragte ich.
»Kennst du nicht«, antwortete er leise.
»Woher weißt du das?«
»Weiß ich einfach.«
»Komm, sag schon!«
»Kanye West.«
»Häh?«
»So heißt der Musiker. Ist ’n Rapper aus den USA.«
»Klingt voll komisch«, sagte ich und war froh, einen besseren Musikgeschmack als Lars zu haben. Spontan fielen mir zwei Stars ein, die ich cool fand: Rihanna und Peter Maffay. Papa war noch nicht zu Hause, und Mama stand in der Küche, um den Salat für das Abendessen vorzubereiten. Mir war langweilig.
»Wollen wir kuscheln?«, fragte ich.
»Klar, komm her.«
Lars stellte seinen Laptop auf den Beistelltisch und rutschte zur Seite. Ich legte mich in seinen Arm, dann deckte er uns mit meiner Spongebob-Schwammkopf-Decke zu und stellte seinen Laptop wieder zurück auf die Bettkante.
Zuerst war ich still, aber dann fragte ich: »Was liest du da?«
»Eine Freundin hat mir auf Facebook geschrieben. Ich habe ihr von dir erzählt.«
»Echt?«
»Ja.«
»Was denn alles?«
»Hauptsächlich von unserem Geheimplan, also unserer Liste, und von all den Dummheiten, die wir beide so anstellen.«
»Okay«, sagte ich und war wieder ganz stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte, Mama immer noch nichts von der Liste zu erzählen. Das ging sie nämlich nichts an. Das durften nur Lars und ich wissen. Und seine Freunde. Seine Freunde sind nämlich auch meine Freunde.
»Und dann habe ich sie mehr aus Routine etwas gefragt …«, sagte Lars und machte eine kleine Pause.
»Was denn?«
»Wie geht es dir?«
»Mir geht’s gut«, sagte ich.
Lars lachte plötzlich so laut, dass ich mein Gesicht unter der Decke vergrub. Dann lachte ich auch und boxte ihn in die Seite. Ich begann ihn zu kitzeln, und er kitzelte mich zurück, bis ich nicht mehr konnte und mich nach hinten ins Kissen fallen ließ. Lars beugte sich über mich, ganz außer Puste, und sagte: »Deine Lippen sind schon wieder lila. Lass uns mal chillen.«
Dann legte er sich wieder neben mich, und ich konnte seinen Puls spüren. Sein Herz klopfte ganz schnell. Für eine Weile, ich weiß nicht mehr, wie lange genau, lagen wir einfach so nebeneinander und sagten nichts. Ich versuchte mich daran zu erinnern, worüber wir vor unserem Kampf gesprochen hatten, aber es fiel mir erst nicht ein. Dann schon.
»Was ist jetzt mit deiner Freundin? Was hast du sie gefragt?«
Lars atmete schwer, als ob er sich wegen etwas ganz besonders viele Gedanken mache. Ich kenne das von Mama und auch von mir selbst.
»Nachdem ich Camille deine Geschichte erzählt habe, schrieb ich ihr einen Satz, den man jeden Tag so oft hört, der aber fast nie ehrlich beantwortet wird: Wie geht es dir? Weißt du, ich habe mir nichts dabei gedacht, als ich ihr das geschrieben habe. Ich wollte einfach nett sein, aber nie im Leben hätte ich mit dieser Antwort
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