Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
lassen, aber Mama sagt, das sei nur was für Weiber.
»Das Problem mit der Liebe und dem Verliebtsein ist, dass es einfach passiert«, sprach Lars leise.
Ich mag seine Stimme. Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, rufe ich ihn an, und er erzählt mir von seinem Tag. Seine Stimme zu hören, beruhigt mich sehr. Und dann, nach ein paar Minuten, schlafe ich tief und fest, weil ich dann an Lars denke. Und wenn ich an ihn denke, geht es mir immer gut.
»Es ist keine Entscheidung, die man selbst treffen kann«, erzählte er weiter. »Du kannst nicht aus dem Haus gehen und sagen: Cool, heute Nachmittag habe ich ein bisschen Zeit, heute verliebe ich mich. Man kann nur sein Herz auf Empfang stellen. Mehr geht nicht.«
»Hmm«, murmelte ich und überlegte einen Moment. »Aber was ist, wenn ich es nicht mehr rechtzeitig schaffe, wenn ich mich nicht mehr verliebe, so wie Johnny und Baby?«
»Meinst du die beiden aus Dirty Dancing ?«
»Ey, wen denn sonst? Haben wir doch zusammen angeguckt. Du hast auch schon Alzheimer, oder?«
»Hahaha.«
»Ich will auch Schmetterlinge im Bauch haben und ins Kino gehen und solche Sachen.«
»Du kannst mit mir ins Kino gehen«, grinste Lars, aber da hob ich nur meinen Kopf und meinte: »Mit dir will ich aber nicht knutschen!«
»Hahaha, ich feiere dich, mein Kleiner. Und ja, du hast vollkommen recht. Mit mir würde ich auch nicht knutschen wollen. Ist ja auch eklig.«
»Ehrlich mal.«
»Anna wollte ja auch nicht.«
»Wie oft denn noch: Vergiss diese Anna! Es hat geregnet, und du hast sie nach Hause gefahren und dann ist sie einfach ausgestiegen.«
»Du sagst es, Bruder.«
»So etwas macht man nicht. Da kann man sich wenigstens mit einem schönen Kuss bedanken.«
»Hahaha, du sagst es, Bruder.«
»Ich will das nur einmal erleben. Einmal richtig verliebt sein. Mehr will ich doch gar nicht.«
»Aber so geht es vielen. Was glaubst du, wie viele Menschen auf der Welt herumlaufen, die noch nie verliebt waren? So viele. Ohne Scheiß.«
»Ich meine, sonst habe ich doch gar nicht richtig gelebt. Camille hat das auch in dem Brief geschrieben. Und sie ist viel älter als ich und muss es ja wissen. Außerdem will ich mitreden können im Himmel. Bitte hilf mir dabei. Versprichst du es?«
»Ich versprech’s dir.«
Dann nahm ich Lars in den Arm und sagte: »Ich möchte wenigstens nach meinem Tod ganz normal sein, so wie die anderen Kinder.«
»Scheiße, sag doch nicht immer solche Sachen. Jedes Mal bringst du mich zum Flennen, du Penner.«
»Tut mir leid, Brüderchen. Woher soll ich denn wissen, dass du so ’ne Lusche bist.«
Lars sagte jetzt nichts mehr, aber er wollte mich auch nicht mehr loslassen, was etwas unbequem für mich wurde. Ich nahm seinen rechten Arm von meiner Schulter, legte mich wieder hin und ließ seine Hand zufällig auf meinen Rücken fallen. Er wusste genau, was zu tun war.
»Du brauchst übrigens keine Angst zu haben«, sagte ich und nahm Muh wieder zu mir. »Für dich finden wir auch noch ein hübsches Mädchen.«
18
Täglich grüßt das Murmeltier. Mama Murmeltier und Daniel Murmeltier streiten um den Tagessieg.
»Nimm deine Tabletten!«, schreit Mama aus der Küche.
Ich zeige ihr den Vogel und gifte zurück: »Du spinnst wohl!«
Meistens renne ich dann weg, und das Theater fängt erst richtig an. So auch an diesem Krankenhaustag. Vor dem Termin im UKE hatten wir alle große Angst, weil wir erfahren würden, ob meine anderen Krankheiten einen neuen Kumpel namens Diabetes bekommen würden. Mama weinte viel deswegen. Für mich käme das allerdings einem Weltuntergang gleich. Würden die Ärzte mir auch noch meine geliebten Süßigkeiten verbieten, bliebe schließlich gar nichts mehr übrig, was mir einen Funken Freude bereitete.
Ich hörte Mama fluchen und toben, aber ich war sehr geübt darin, auf Durchzug zu schalten. Ich saß in meinem Zimmer und kämmte Anna. Meine Puppe hatte so schöne Haare – blond und glatt. Mama war mir in dem Moment egal. Sie nervte nur noch. Ihre ständige Nähe machte mich auch irgendwie aggressiv. Mir ist schon klar, dass ich daran nichts ändern kann, weil ich sie ja brauche, aber das ist ja das Problem. Ich möchte so gerne meine Ruhe haben, aber genau die kann mir niemand geben. Auch Mama nicht. Deswegen wehre ich mich so gut ich kann. Ich rebelliere. Gegen Mama, die Ärzte, mein krankes Herz. Ich werde niemals akzeptieren, dass diese bescheuerten Tabletten ein Teil meines Lebens sind. Und ich hasse diese doofe Box, in
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